Moleküle zappeln sich ins eigene Spiegelbild
Chirale Prozesse an Oberflächen
Dieses Wissen eröffnet nicht zuletzt der Pharmakologie beim Herstellen von Medikamenten neue Handlungsfelder.
"Wir kitzeln Moleküle", beschreibt Karl-Heinz Ernst von der Abteilung "Nanoscale Materials Science" die Experimente, mit denen er und seine Kollegen chemische Reaktionen untersuchen, die auf Oberflächen stattfinden. Im Rastertunnelmikroskop (RTM) versetzen sie einzelne Moleküle mit einem Elektronenstrahl hochpräzise in Schwingung. Denn ein RTM ist nicht nur Mikroskop, um kleinste Teilchen zu beobachten; es ist gleichzeitig auch ein äusserst empfindliches Werkzeug, mit dem sich einzelne Atome und Moleküle manipulieren lassen.
In den Experimenten der Empa-Forscher begannen die angeregten Moleküle zu hüpfen und zu zappeln, bewegten sich von der Stelle, drehten sich um ihre Achse, konnten aber auch blitzschnell "invertieren", das heisst in die gegensätzliche Spiegelbildform wechseln. Mit dem Verändern der elektrischen Spannung und und des Tunnelstroms konnten die Wissenschaftler nachvollziehen, welche Teile der Moleküle angeregt wurden und wie sie darauf reagierten.
Paare, die sich nicht zur Deckung bringen lassen
Ernst und seine Kollegen interessierte dabei ganz speziell, wie es sich mit der Spiegelbildlichkeit oder Chiralität verhält: In der Natur kommen derartige "Paare", die gleich aussehen und doch verschieden sind, und auch mit Drehen und Wenden nicht zur Deckung gebracht werden können, häufig vor. Paradebeispiele für Chiralität sind Schneckenhäuser und Mineralien, und - eben auch - Moleküle. Viele Moleküle des Lebens sind chiral, zum Beispiel DNA, Proteine und deren Bausteine, die Aminosäuren, und Zuckermoleküle.
Diese kommen fast ausschließlich in der einen Spiegelbildform vor. Warum dem so ist, bleibt ein Rätsel mit großer Tragweite: Denn die zwei Spiegelbildformen eines Moleküls können - trotz identischer physikalischer und chemischer Eigenschaften - biologisch völlig unterschiedlich wirken. So riecht beispielsweise der Duftstoff Carvon - abhängig von seiner linken oder rechten "Händigkeit" - entweder nach Minze oder nach Kümmel. Weniger harmlos wirkte sich in den 60er-Jahren die Händigkeit des Wirkstoffs Thalimdomid im Schlafmittel Contergan aus: Seine rechtshändige Form brachte den ersehnten Schlaf, das linksdrehende Thalimdomid führte bei Schwangeren zu schweren Missbildungen der Ungeborenen.
Wenn sich die Experimente nun auch noch besser modellieren liessen, und falls verstanden würde, warum Moleküle in ihre Spiegelform springen, erschlössen sich daraus nicht nur der Pharmakologie neue Syntheseverfahren.
Originalveröffentlichung: Manfred Parschau et al.; "Umwandlung der absoluten Konfiguration einzelner Adsorbatkomplexe"; Angew. Chem. 2009, 122, 4125-4129
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