Schädliche Stickstoffverbindungen in der Atmosphäre: Ein drängendes Umweltproblem
2008 emittierte die Schweiz rund 50 Prozent weniger Stickstoffverbindungen als noch Ende der 80er-Jahre. Ist damit bereits Entwarnung gegeben? «Keineswegs», sagt Empa-Physiker Christoph Hüglin. Die Stickstoffdioxid-Konzentrationen sind vor allem in Städten und entlang der Hauptverkehrsachsen nach wie vor zu hoch. Das zeigen Messungen des Nationalen Beobachtungsnetzes für Luftfremdstoffe (NABEL), das die Empa gemeinsam mit dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) unterhält. Zusammen mit anderen Stoffen wie Ozon und Feinstaub schaden Stickoxide – die unter anderem durch Verbrennungsprozesse entstehen – der menschlichen Gesundheit, indem sie beispielsweise Atemwegserkrankungen begünstigen.
Was in der Schweiz noch immer einer Lösung harrt, bereitet den Luftschadstoff-ExpertInnen auch international Sorgen. Die weltweit zu hohen Emissionen greifen in bisher nicht gekanntem Ausmass in den Stickstoffkreislauf der Erde ein und beeinflussen in komplexer Weise auch den Kohlenstoffkreislauf und damit das Klima. Eine Ursache für das Problem ist die Mobilität. «Die wachsende Mobilität wird uns 2010 einen globalen Fuhrpark von einer Milliarde Fahrzeugen bescheren», erklärt Peter Hofer, Direktionsmitglied der Empa. «Hochrechnungen gehen von einer globalen Sättigung von 3 bis 4 Milliarden Fahrzeugen aus. Bei sich wenig ändernden Motortechnologien ist deshalb mit einem gewaltigen Mehr an Stickstoffemissionen zu rechnen.»
Doch gerade bei den verkehrsbedingten Stickoxidemissionen lassen sich dank wirksamer technischer Massnahmen bedeutende Verbesserungen erzielen. Bei konsequenter Umsetzung der verfügbaren Minderungstechnologien – beispielsweise mit an der Empa entwickelten Katalysatoren auf Basis von Keramikschaum – könnte das Problem in absehbarer Zeit gelöst sein, so Christian Bach, Leiter der Empa- Abteilung «Verbrennungsmotoren».
Neben ihrer unrühmlichen Rolle als Vorläufer zur Bildung von Ozon und Feinstaub wirken sich Stickstoffverbindungen auch in der Landwirtschaft schädlich aus. Zwar wurde Ammoniak im 19. Jahrhundert als Ausgangsstoff für viele chemische Produkte, unter anderem Kunstdünger, hoch gelobt und als Mittel im Kampf gegen den Hunger gepriesen. Durch den Dünger wurden die Ernteerträge höher, allerdings führten die eingetragenen Stickstoffverbindungen zur Versauerung und Eutrophierung (Überdüngung) der Böden.
Das wirkt sich nicht zuletzt negativ auf die Treibhausgasbilanz der damit verbundenen Ökosysteme aus. Albrecht Neftel von der Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART erläuterte, wie diese Ökosysteme derzeit im europäischen Forschungsprojekt «NitroEurope» untersucht werden. Es sei ausserordentlich wichtig, die heute viel zu hohen landwirtschaftlichen Ammoniakemissionen markant zu senken, etwa durch eine konsequente Anwendung emissionsarmer Ausbringungstechniken für Gülle. Denn trotz einiger bereits getroffener Minderungsmassnahmen verharren die Ammoniakbelastungen in der Schweiz, aber auch in weiten Teilen Europas, auf unverändert hohem Niveau.
Um ökologisch unbedenkliche Stickstoffeinträge zu erreichen, müssten die Emissionen von Stickoxiden und Ammoniak gegenüber heute etwa halbiert werden. Und da stickstoffhaltige Aerosole in der Atmosphäre über grosse Distanzen transportiert werden können, sind international koordinierte Anstrengungen notwendig.
Empa-Forscher und Tagungsorganisator Robert Gehrig zeigte, wie im «European Monitoring and Evaluation Programme» (EMEP) mit einem Netz von mehr als 100 Messstationen in 51 Ländern Verfrachtung und Deposition von Stickstoffverbindungen modelliert und beobachtet werden. So stammen beispielsweise rund 14'600 (von total 16'200) Tonnen des in der Schweiz pro Jahr deponierten Nitrats aus ausländischen Quellen, aber die Schweiz «exportiert» ihrerseits rund 20'000 Tonnen an ihre europäischen Nachbarn.
Für diese äusserst komplexen Untersuchungen der Luftschadstoffe sind leistungsstarke analytische Messtechniken gefragt – zum Beispiel neue spektroskopische Methoden wie das von Empa-Forscher Lukas Emmenegger entwickelte Quantenkaskadenlaser-Spektrometer, das sehr schnelle und empfindliche Analysen ermöglicht und sogar verschiedene Lachgas-Isotope (N2O) unterscheiden kann. Dadurch lassen sich emittierte Lachgasmoleküle aus Verbrennungsprozessen in Kraftwerken von «biologisch produzierten» N2O-Molekülen aus Kläranlagen unterscheiden.
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