Einblicke in Minibatterie aus Graphen
Supermikroskop beobachtet Lithium-Atome auf Wanderschaft
HZDR / Dr. M. Ghorbani-Asl
„Verbindungen aus reinem Kohlenstoff eignen sich bestens für den Einsatz in Lithium-basierten elektrochemischen Speichersystemen. Dabei wird Lithium vorübergehend in das Wirtsmaterial aus Kohlenstoff eingelagert“, erklärt Dr. Jurgen Smet, Physiker am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung (MPI-FKF) Stuttgart. Wie genau das aussieht, haben Smet und die Ulmer Physikerin Professorin Ute Kaiser in einem Gemeinschaftsprojekt untersucht. Ziel des von der Baden-Württemberg Stiftung geförderten Forschungsvorhabens war es, die Speicherung und Diffusion von Lithium in zwei-dimensionalen Kohlenstoffverbindungen wie Graphen auf atomarer Ebene sichtbar zu machen und zu verstehen.
Dafür hat Smet mit seinen Doktoranden Matthias Kühne und Sven Fecher eine „Minibatterie“ entwickelt, die aus einer Doppellage Graphen aufgebaut ist. Zur Erinnerung: Graphen gehört zu den sogenannten 2D-Materialien und besteht aus einer einzelnen Kohlenstoffatomlage. An einem Ende der 0,3 Nanometer dünnen, länglich geformten elektrochemischen Minizelle haben die Stuttgarter Wissenschaftler auf der Oberseite einen Elektrolyttropfen aufgetragen, in dem ein Lithiumsalz gelöst ist. „Damit der Elektrolyt die elektronenmikroskopische Aufnahme nicht stört, musste er genau positioniert und mechanisch stabilisiert werden“, so Smet, Leiter der Forschungsgruppe Festkörper-Nanophysik am MPI-FKF. Dafür griffen die Stuttgarter auf einen Trick zurück: Zugesetzte Polymere, die unter UV-Licht aushärten, machen aus dem Tropfen einen gelartigen Festkörper, der bleibt, wo er ist. Wird nun an der Nanozelle eine Spannung angelegt, wandern die Lithium-Ionen aus dem Elektrolyttropfen in den Zwischenraum der Graphen-Doppellage und lagern sich dort ein (Interkalation). Wenn die Potentialdifferenz entfernt wird, löst sich die eingelagerte Lithium-Ansammlung wieder auf und das Lithium wandert zurück in den Elektrolyttropfen.
Die Überraschung: In der Nanozelle aus Graphen lagert sich das Lithium mehrlagig ein
Doch in welcher Form wird das Lithium gespeichert? Wie verläuft der Prozess der Interkalation? Auf atomarer Ebene sind solche Vorgänge „in situ“ – also „live“ – nur sehr schwer zu beobachten. Nun gelang es dem Ulmer Team um Ute Kaiser mit dem Supermikroskop SALVE weltweit zum ersten Mal überhaupt, die Interkalation von Lithium zwischen Graphen auf atomarer Ebene strukturgenau aufzuzeigen. „Das Ergebnis hat uns sehr überrascht: Im Gegensatz zu herkömmlichen graphitbasierten Batteriezellen, wo sich immer nur einzelne, wenig dicht gepackte Lithiumlagen zwischen zwei Kohlenstofflagen einlagern, zeigten sich hier mehrere sehr dicht gepackte Lithiumlagen“, sagen Dr. Felix Börrnert und Dr. Johannes Biskupek, Projektmitarbeiter aus der von Professorin Ute Kaiser geleiteten Abteilung Materialwissenschaftliche Elektronenmikroskopie der Universität Ulm. Um wirklich sicher zu gehen, wurden die Be- und Entladungsexperimente mit der „Minibatterie“ am SALVE-Mikroskop mehrfach – und über viele Wochen hinweg – immer wieder reproduziert. Außerdem musste sichergestellt werden, dass die TEM-Abbildungen auch wirklich Lithium darstellen. Dafür wurde die Elementzusammensetzung der beobachteten Strukturen mit Hilfe des zum SALVE-Gerät gehörenden Elektronenenergieverlust-Spektrometers chemisch untersucht.
SALVE liefert einzigartige Einblicke in die Nanozelle
„Es ist eine enorme wissenschaftliche Herausforderung, die Diffusion eines so leichten Elements wie Lithium in einem ‚Graphen-Sandwich‘ elektronenmikroskopisch sichtbar zu machen“, sagt Professorin Ute Kaiser. Herkömmliche Transmissionselektronenmikroskope (TEM) sind dafür nicht geeignet. Die Aufnahmen sind entweder zu kontrastarm, oder es kommt zu massiven Schäden an den Materialien durch die Elektronenstrahlen bei der Untersuchung selbst. „Mit SALVE und dank eines Tricks – wir haben nämlich die regelmäßige Gitterstruktur der Graphen-Bilage aus der elektronenmikroskopischen Abbildung herausrechnen können – gelang es uns letztendlich, beide Herausforderungen zu meistern“, so Kaiser. Das Öffnungs- und Farbfehler-korrigierte Niederspannungstransmissionselektronenmikroskop erlaubt bei einer Spannung von 80kV hochauflösende und kontrastreiche Abbildungen in einer subatomaren Auflösung von 75 Pikometern. Es arbeitet mit Niederspannung, die vergleichsweise materialschonend ist und damit auch die Untersuchung von empfindlichen 2D-Materialien wie Graphen ermöglicht. Entwickelt wurde das Gerät im Rahmen der mehrjährigen Forschungsinitiative „Sub-Ångstrøm Low-Voltage Electron microscopy“ (SALVE) der Universität Ulm.
Für die „in situ“-Experimente der reversiblen Lithium-Einlagerung in der Nanozelle haben die Ulmer und Stuttgarter Forscher gemeinsam viele Wochen am SALVE-Mikroskop gearbeitet. Besonders fasziniert waren die Wissenschaftler von der Erkenntnis, wie perfekt die mikroskopischen Aufnahmen zu den theoretisch postulierten Konfigurationen passen, die die Kollegen aus Dresden berechnet haben. Anhand von sogenannten Dichte-Funktional-Theorie-Rechnungen von Lithium konnten die Physiker Dr. Mahdi Ghorbani-Asl und Dr. Arkady Krasheninnikov vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) zeigen, dass bei einer bestimmten Beladung/Spannung die Bildung mehrlagiger Lithium-Einlagerungen wahrscheinlich ist. „Ausschlaggebend für die Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Struktur ist letztendlich die Frage, wie stabil die jeweilige Phase unter bestimmten Umständen ist“, erläutert Krasheninnikov.
Grundlegende Erkenntnisse für die Batterieforschung
Unterstützt wurde das Forschungsprojekt von der Baden-Württemberg Stiftung. Thematisch eingebettet ist die Arbeit außerdem sowohl in der „Graphene Flaghip“ Initiative der Europäischen Union sowie von Ulmer Seite aus im neuen Exzellenzcluster zur Batterieforschung. „Die Ergebnisse dieses Forschungsprojektes sind von grundlegender Bedeutung für die Batterieforschung, geben sie doch Einblicke in den Ablauf elementarer Prozesse der elektrochemischen Energiespeicherung“, sind sich Smet und Kaiser einig. Und wer weiß, vielleicht werden die neuen Erkenntnisse das Design zukünftiger kohlenstoffbasierter Speichersysteme inspirieren.