Kontrolle aus dem Nichts
Wie virtuelle Photonen atomare Spektren verändern
DESY, Haber et al.
DESY, Haber et al.
Sogenannte virtuelle Photonen spielen eine wichtige Rolle für die Wechselwirkung von Licht und Materie. Dies ist umso bemerkenswerter, weil diese im klassischen Sinne gar nicht existieren. Virtuelle Photonen können im Vakuum gleichsam aus dem Nichts entstehen um nach unvorstellbar kurzer Zeit dann wieder zu verschwinden. Wechselwirken diese Photonen während ihrer kurzen Existenz mit den Elektronen in einem Atom, verschieben sich dabei ganz leicht die Bindungsenergien der Elektronen.
Dieser fundamentale Effekt wurde erstmals 1947 von Willis Lamb an Wasserstoffatomen gemessen. Diese nach ihm benannte Lamb-Verschiebung stellte für die theoretischen Physiker zu der Zeit einen äußerst wichtigen Anhaltspunkt da, wie sie die Wechselwirkung der virtuellen Photonen mit Materie rechnerisch behandeln mussten. Das war der Durchbruch zur Entwicklung der Quantenelektrodynamik (QED), der fundamentalen Theorie der Wechselwirkung von Licht mit Materie. Lamb erhielt für sein richtungsweisendes Experiment 1955 den Nobelpreis für Physik.
Die Wechselwirkung mit virtuellen Photonen ändert sich grundlegend, wenn daran viele gleichartige Atome beteiligt sind. Liegen diese räumlich sehr dicht beieinander, so können virtuelle Photonen eine Wechselwirkung zwischen den Atomen verursachen. Die daraus entstehende kollektive Lamb-Verschiebung kann wesentlich grösser sein als die für einzelne Atome und hängt auch stark von der räumlichen Anordnung der Atome ab. Nach ihrer Vorhersage im Jahr 1973 hatte sich diese kollektive Verschiebung jedoch lange eines experimentellen Nachweises entzogen, da es nicht möglich war, identische Atome in hinreichender Dichte zu präparieren.
Der direkte Nachweis gelang erst im Jahr 2012 der DESY-Gruppe von Ralf Röhlsberger mit Hilfe des Eisen-Isotops 57Fe. Eine große Anzahl von Atomen dieses Isotops lassen sich mittels moderner Beschichtungsverfahren in speziell strukturierte Dünnschichtsysteme einbetten, die ihrerseits als sogenannte Resonatoren für Röntgenstrahlung fungieren. In diesen wird die Wechselwirkung der virtuellen Photonen mit den Atomkernen nochmal besonders verstärkt, indem das Licht zwischen zwei um die resonanten Atome angebrachten Spiegeln hin- und herreflektiert wird. Da die Resonanzlinie des 57Fe extrem schmal ist, lassen sich kleinste Verschiebungen dieser Linie mit höchster Präzision messen. Während auf diese Weise die kollektive Lamb-Verschiebung bestätigt und im Detail untersucht werden konnte, blieben diese Studien auf das Isotop 57Fe beschränkt.
In der neuen Arbeit ist es dem Team um Johann Haber nun erstmals gelungen, die kollektive Lamb-Verschiebung auch bei Resonanzen der Elektronenhülle nachzuweisen. Hierbei wird ein Elektron durch Absorption eines Photons aus einer tiefliegenden Energieschale, also Umlaufbahn um den Atomkern, in eine höherliegende angeregt. Für dieses Experiment haben die Forscher eine Resonanz an der 9.88 keV L-Absorptionskante des Metalls Tantal verwendet, die besonders gut ausgeprägt ist. Die Atome wurden in sehr ähnlicher Weise wie bei den Experimenten am 57Fe präpariert. Wie die Messungen zeigen, kann die kollektive Lamb-Verschiebung der Tantal-Resonanz abhängig von der Richtung der Anregung bis zu drei Elektronenvolt (3 eV) betragen und dabei auch ihr Vorzeichen ändern. Damit eröffnen sich zahlreiche neue Anwendungsmöglichkeiten, da es eine Reihe Elemente mit hinreichend schmalbandigen Hüllenresonanzen gibt.
„Diese Ergebnisse sind für die hochpräzise Spektroskopie im Röntgenbereich von großer Relevanz“, sagt Sonia Francoual, verantwortliche Wissenschaftlerin für die Experimente an der Strahlführung P09 von PETRA III. In den Röntgenresonatoren dieses Experiments bilden sich stehende Wellen, die sich nicht von denen unterscheiden, die bei bestimmten Röntgenspektroskopie-Untersuchungen auftreten. Auch diese stehenden Wellen können die spektroskopische Signatur jeder Materie-Resonanz oder jedes angeregten Zustandes, an den sie ankoppeln, beeinflussen. Werden also stehende Röntgenwellen mit spektroskopischen Untersuchungen kombiniert, können quantenoptisch induzierte Verschiebungen auftreten, die das Signal und die Ergebnisse verfälschen.
„Darüber hinaus erwarten wir, dass dieses Experiment zu weiteren Anwendungen der Röntgenquantenoptik führen wird, die mit elektronischen Resonanzen arbeiten, wie beispielsweise einer starken Kopplung zwischen einer Resonatormode und einem Ensemble von resonanten Atomen“, sagt Haber. Tatsächlich haben Resonanzlinien wie die Tantal L3-Resonanz eine Reihe von Vorteilen gegenüber der Kernresonanz von 57Fe. So sind beispielsweise die elektronischen Resonanzlinien um mehr als zehn Größenordnungen (zehn Milliarden mal) breiter als die nuklearen Resonanzlinien. Damit werden sogenannte Multiphotonen-Experimente wesentlich einfacher, da die Röntgenstrahlung innerhalb der Bandbreite der elektronischen Resonanzen viel mehr Photonen enthält. Dies wird neue Möglichkeiten für eine resonanzverstärkte nichtlineare Optik im Röntgenbereich eröffnen.
Kollektive-Lamb-Verschiebungsprozesse könnten dabei besonders relevant für neuartige Techniken sein, die stimulierte Emissionsprozesse aus elektronischen Resonanzen ausnutzen, welche mit Röntgenlaserstrahlung angeregt werden. Schließlich eröffnet die Verfügbarkeit von Attosekundenpulsen im harten Röntgenbereich auch die Untersuchung von Effekten der Röntgenquantenoptik mit höchster zeitlicher Auflösung.
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