Langsamsten je gemessenen Atomzerfall beobachtet

26.04.2019 - Schweiz

Eigentlich soll der XENON1T-Detektor tief im Untergrund Teilchen der Dunklen Materie aufspüren. Doch einem Forscherteam unter führender Beteiligung von Zürcher Physikern ist es jetzt gelungen, damit erstmals einen anderen äusserst seltenen Vorgang zu beobachten: den Zerfall des Atoms Xenon-124, das die enorme Halbwertszeit von 1,8 × 10 hoch 22 Jahren aufweist.

Xenon Collaboration

Mit dem XENON1T-Detektor werden im Gran-Sasso-Gebirge Teilchen der Dunklen Materie erforscht.

Etwa 1500 Meter tief im italienischen Gran Sasso-Gebirge befindet sich das Untergrundlabor LNGS (Laboratori Nazionali del Gran Sasso), in dem Wissenschaftler abgeschirmt von jeglicher Radioaktivität nach Teilchen der Dunklen Materie suchen. Hierzu verwenden sie den sogenannten XENON1T-Detektor, dessen Herzstück ein etwa ein Meter grosser zylinderförmiger Tank ist, gefüllt mit 3200 Kilogramm flüssigem Xenon bei einer Temperatur von -95 Grad Celsius.

Der seltenste je gemessene Zerfall

Bislang haben die Forscher mit diesem Detektor zwar noch keine Teilchen der Dunklen Materie aufgespürt, aber es ist ihnen gelungen, erstmals den Zerfall des Atoms Xenon-124 zu beobachten. Die dabei gemessene Halbwertszeit – also die Zeitspanne, nach der die Hälfte aller ursprünglich vorhandenen Atomkerne radioaktiv zerfallen sind – ist über eine Billion Mal länger als das Alter des Universums, das seit etwa 14 Milliarden Jahren existiert. Der beobachtete Prozess ist damit der seltenste jemals in einem Detektor direkt nachgewiesene Vorgang im Universum. «Dass es uns gelungen ist, diesen Vorgang direkt zu beobachten, zeigt eindrucksvoll, welches Potenzial in unserer Messmethode steckt – auch für seltene physikalische Phänomene, die nicht von Dunkler Materie herrühren», sagt die Professorin Laura Baudis, Astroteilchenphysikerin an der Universität Zürich, deren Gruppe an dem XENON1T-Experiment massgeblich beteiligt ist.

Ein schwer nachweisbares Phänomen

Bei dem beobachteten Prozess handelt es sich um einen sogenannten doppelten Elektroneneinfang: Der Atomkern von Xenon-124 besteht aus 54 positiv geladenen Protonen und 70 neutralen Neutronen und wird umhüllt von mehreren Atomschalen, die mit negativ geladenen Elektronen besetzt sind. Beim doppelten Elektroneneinfang fangen zwei Protonen des Kerns zwei Elektronen aus der innersten Schale des Atoms ein, wandeln sich in Neutronen um und senden zwei Neutrinos aus. Da in der Atomhülle nun zwei Elektronen fehlen, sortieren sich die übrigen Elektronen um, wobei Energie in Form von Röntgenstrahlen ausgesendet wird. Dieser Prozess geschieht allerdings extrem selten und wird normalerweise von allgegenwärtigen Spuren «normaler» Radioaktivität überdeckt – in der abgeschirmten Umgebung des Untergrundlabors war Nachweis nun allerdings möglich.

Berechnung der Halbwertszeit aus Lichtsignalen

Die Röntgenstrahlen aus dem doppelten Elektroneneinfang erzeugten innerhalb des flüssigen Xenons im XENON1T-Detektor ein erstes kurzes Lichtsignal und freie Elektronen. Diese bewegten sich in den oberen Teil des Detektors und erzeugten dort ein zweites Lichtsignal. Aus der Richtung und der Zeitdifferenz zwischen den Signalen konnten die Wissenschaftler die genaue Position des doppelten Elektroneneinfangs sowie die beim Zerfall freigewordene Energie ermitteln. Aus insgesamt 126 solcher in den letzten zwei Jahren beobachteten Vorgängen berechneten die Physiker dann die enorme Halbwertszeit von 1,8 × 1022 Jahren für das Atom Xenon-124. Dies ist der langsamste Prozess, der jemals direkt nachgewiesen werden konnte.

«Die neuen Ergebnisse zeigen, wie präzise der XENON1T-Detektor sehr seltene Zerfälle registrieren und Störsignale herausfiltern kann», sagt Laura Baudis. Da beim beobachteten doppelten Elektroneneinfang zwei Neutrinos ausgesendet werden, kann das neue Ergebnis wichtige Informationen für Folgemessungen des sogenannten neutrinolosen doppelten Elektroneneinfangs liefern. Mit dessen noch ausstehender Entdeckung könnten wichtige Fragen zur Natur der Neutrinos beantwortet werden.

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