Proteine durchleuchten, um erste Anzeichen von Krankheiten sichtbar zu machen

Matthias Mann als Finalist für Europäischen Erfinderpreis 2019 nominiert

08.05.2019 - Deutschland

Das Europäische Patentamt (EPA) gibt die Nominierung des deutschen Physikers, Biochemikers und Bioinformatikers Matthias Mann für den Europäischen Erfinderpreis 2019 als einer von drei Finalisten in der Kategorie „Forschung" bekannt. Damit wird seine Entwicklung von Techniken zur umfassenden Proteinanalyse in menschlichen Zellen gewürdigt, welche die frühzeitige Erkennung von Krankheiten möglich macht.

European Patent Office

Matthias Mann (Deutschland), nominiert für den European Inventor Award 2019 in der Kategorie Forschung

Mann gilt seit über zwei Jahrzehnten als Pionier auf dem Gebiet der Proteomik und leitet zwei verschiedene Abteilungen in Forschungseinrichtungen in Deutschland und Dänemark. Dank seiner Erfindungen lassen sich sämtliche Proteine einer Gewebeprobe oder in Körperflüssigkeiten wie Blut nicht nur identifizieren, sondern auch zählen und markieren. Manns Verfahren analysiert Proteinspiegel, dadurch können Anzeichen von etwa Krebs- und Lebererkrankungen sogar vor Ausbruch der Krankheit festgestellt werden. Diese Techniken helfen Medizinern, Erkrankungen genauer vorherzusagen, zu diagnostizieren und zu behandeln.

„Die Fähigkeit, die Proteine bei der Arbeit im Zellinneren präzise zu messen, eröffnet noch nie dagewesene Einblicke in die Funktionsweise des menschlichen Körpers - wie wir krank werden und welche Behandlungsform am besten anschlagen könnte", sagte EPA-Präsident António Campinos anlässlich der Bekanntgabe der Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2019. „Als dynamischer, schnell expandierender Industriezweig birgt die Proteomik enormes Potential, die Gesundheit der Menschen zu verbessern. Dieses Potential wurde durch die Pionierarbeit von Matthias Mann freigesetzt."

Die Gewinner des jährlichen Innovationspreises des EPA werden 2019 im Rahmen einer Galaveranstaltung am 20. Juni in Wien bekannt gegeben.

Mit dem Blick auf die Proteine zur exakten Medizin

Die Proteomik ist ein vergleichsweise junges Feld der Biologie, welches die Gesamtheit der Proteine eines Organismus oder Systems untersucht. Proteine sind die Grundsteine von Lebewesen, sie steuern den Informationsfluss innerhalb der Zellen und weisen auf Bedrohungen für die Gesundheit im Körper hin. Ist die DNA der Bauplan des Lebens, so sind die Proteine die Werkzeuge, die alle körperlichen Funktionen in Betrieb halten. Darum kann eine sorgfältige Untersuchung des Zustands und der Funktion von Proteinen auch zuvor unentdeckte Gefahren für die Gesundheit sichtbar machen. Vor diesem Hintergrund birgt die Proteomik ein großes Potential für das Verständnis von Krankheiten. Über die Bedeutung der Proteine waren sich die Forscher schon seit langem im Klaren, die große Herausforderung lag jedoch darin, Informationen über sie aus einzelnen Zellen zu sammeln.

Als interdisziplinärer Forscher begann Matthias Mann nach einer Lösung für dieses Problem zu suchen. Dabei konnte er sich auf seine Expertise in verschiedenen wissenschaftlichen Gebieten stützen: Nach seinem Physikdiplom an der Universität Göttingen promovierte er 1988 in Chemieingenieurwesen in Yale. Als er unter John Fenn forschte, der 2002 den Nobelpreis in Chemie erhielt, spezialisierte sich Mann neben der Proteomik auf die Massenspektrometrie - eine Methode für die Proteinanalyse, die Ionen in einem Spektrum nach ihrem Masse-Ladungsverhältnis sortiert. Dabei begann er die Präzision der Analyse von verdampften Proteinen zu erforschen.

1994 erhielt Mann das Patent für eine neue Technik, um Proteine von menschlichen Zellen zu extrahieren, genannt Nano-Elektrospray. Dieses Verfahren verdampft die Proteine nach ihrer Extraktion, bevor sie elektrisch aufgeladen werden. Mit dieser Technik können Forscher die Masse und damit die Identität jedes verdampften Proteins feststellen, indem seine Ablenkung von einem elektrischen Feld geprüft wird.

Manns Nano-Elektrospray revolutionierte die Analyse von Proteinen und etablierte die Proteomik als eigene Disziplin. Mit Hilfe der Massenspektrometrie war es fortan möglich, Proteine in großen Mengen zu screenen, um so sichtbar zu machen, welche Eiweiße in Gewebeproben oder in Körperflüssigkeien wie Blut enthalten sind. Die simultane Sequenzierung tausender Proteine verschaffte Forscher einen bis dahin beispiellosen, umfassenden Überblick über deren Funktionsweise in Zellen. Diese Arbeit sollte Manns Laufbahn von nun an prägen und trug dazu bei, dass sein Mentor John Fenn den Nobelpreis erhielt.

Die Erfindung lässt hoffen, dass künftig spezifische erste Anzeichen von Krankheiten besser erkannt werden - wie zum Beispiel frühe Stadien von Brustkrebs oder der Fettleberkrankheit (Steatosis hepatis). Durch die Identifizierung von Biomarkern können die Informationen helfen, Krankheiten mit weitestgehend unbekannter Ursache wie zum Beispiel bei Parkinson und Diabetes, besser zu verstehen. Dies wiederum bereitet neuen Behandlungsmethoden den Weg.

Technologie für bessere Diagnosen

Nach seiner Rückkehr nach Europa 1989 richtete Mann seine Forschung darauf aus, seine Erfindungen auch in der klinischen Praxis anwendbar zu machen. 2012 stellte er eine weitere Ergänzung seiner Technik mit dem Namen SILAC (Stable Isotope Labeling by Amino Acids in Cell Culture) vor, mit der sich Proteine in maschinenlesbarer Form kennzeichnen lassen. Dies ersetzt arbeitsintensive Markierungsmethoden im Labor. Bei dieser Technik wird ein Kohlenstoffatom durch ein schwereres Isotop ersetzt, was wiederum die Masse eines Proteins spezifisch verändert. In den kranken Zellen dagegen finden sich nur die natürlicherweise vorkommenden, leichteren Kohlenstoffatome. Das heißt: alle Proteine in den gesunden Zellen sind nun ein bisschen schwerer als jene in den kranken. Diese Massenänderung zeigt sich als Markierung (‚tag‘) und wird bei massenspektrometrischen Messungen erfasst. Das erlaubt die schnelle und automatisierte Kartierung des menschlichen Proteoms (die Gesamtheit der Proteine eines Organismus). Dies wiederum ermöglicht genauere Diagnosen und wirksamere Behandlungen.

Die Markierung von Proteinen mittels des SILAC-Prozesses erlaubt es medizinischen Fachleuten, alle Proteine eines Patienten zu erfassen und einen vollständigen Proteinspiegel zu erstellen. Unterschiede zwischen kranken und gesunden Zellen können damit schneller und genauer denn je festgestellt werden. „Mit den bisherigen Methoden konnte man Proteine einfach nicht in großem Stil messen", sagt Mann. „Es würde Jahre dauern - aber wir müssen in der Lage sein, dies in Stunden oder Tagen zu erreichen."

Manns Arbeit umfasst eine große Bandbreite technischer Felder: Er hat nicht nur Präparationstechniken für biologische Proben und Markierungstechniken für erkrankte Zellen erstellt. Er und sein Team haben ebenfalls modernste Software-Tools entwickelt, um die Ergebnisse zu analysieren.

Laut Mann helfen Massenspektrometrie und Proteomik dabei, den Übergang zu einer personalisierten medizinischen Behandlung zu beschleunigen - durch die Identifizierung der für jeden Menschen einzigartigen Proteinkombination.

Aus dem Labor auf den Markt

Mann hat auf dem Gebiet der Proteomik Maßstäbe gesetzt und gilt dort heute weltweit als Autorität. Er leitet Forschungsgruppen in der Abteilung „Proteomics und Signaltransduktion" am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München sowie am „Novo Nordisk Foundation Centre for Protein Research" der Universität Kopenhagen in Dänemark. Als Autor von über 700 „peer-reviewed" Publikationen ist er einer der meist zitierten Wissenschaftler weltweit.

Mann hat zudem weltweit 36 Patente angemeldet. Der Erfinder betont, dass er vor der Publikation in einer wissenschaftlichen Zeitschrift stets prüft, ob eine Entdeckung im Labor bereits zum Patent angemeldet wurde. Wenn die Recherche ohne Treffer bleibt, berät er sich mit den Patentspezialisten im Hause zu den Erfolgsaussichten, eine neue Technologie zu kommerzialisieren: „Ich glaube sowohl an eine offene Wissenschaft als auch an geistige Eigentumsrechte. Wer möchte, dass seine Forschung wirklich den Menschen hilft, für den reicht es nicht, die Ergebnisse nur zu veröffentlichen", sagt der Erfinder. „Am Ende muss daraus ein Produkt entstehen, das Menschen nutzen können - und dafür benötigt man Patente."

2016 ging aus Manns Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Biochemie das Start-up PreOmics hervor. Es vermarktet ein Kit zur Probenaufbereitung, das Forschern den Einsatz von Massenspektrometrie erleichtert. 2017 beschäftigte PreOmics zwölf Mitarbeiter und verzeichnete einen Umsatz von rund 550.000 Euro. Vor dem Hintergrund, dass der Markt für pesonalisierte Medizin in den nächsten fünf Jahren auf rund 170 Milliarden Euro geschätzt wird, ist davon auszugehen, dass sich für Manns Arbeit weiterhin neue Einsatzmöglichkeiten eröffnen. Während die Technologie, die er patentiert hat, gegenwärtig hauptsächlich im Forschungskontext eingesetzt wird, gibt es bereits rund 300 Unternehmen, die im Bereich der Proteomik aktiv sind - Tendenz steigend. Mann ist an einer großen Zahl internationaler Projekte beteiligt und arbeitet eng mit Partnern aus der Industrie zusammen, wie dem deutschen Pharmaunternehmen Evotec und der schwedischen Biotech Firma Atlas Antibodies.

Dies ist eine große Motivation für den Erfinder. Zwar findet er Grundlagenforschung wichtig und inspirierend, jedoch bereiten ihm auch die Herausforderungen und Möglichkeiten, wenn es mit seiner Erfindung in Richtung klinische Anwendung geht, große Freude. „Ich kann mehr Wirkung an der Schnittstelle zwischen Industrie und Patient erzielen als beim reinen Beschreiben der genauen Rolle eines neue Proteins", sagt Mann. Als Beispiel verweist er darauf, dass Millionen Menschen jedes Jahr weltweit an Lebererkrankungen sterben. „Sie müssten nicht sterben, wenn wir sie früher diagnostizieren könnten. Hier haben wir potentiell Einfluss auf das Leben von Millionen von Menschen."

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