Veränderungen der Chiralität von Molekülen in Echtzeit beobachten
ETH Zürich / Joachim Schnabl
Manche Moleküle können in zwei spiegelbildlichen Formen existieren, ähnlich wie unsere Hände. Obwohl solche sogenannten Enantiomere fast identische physikalische Eigenschaften haben, sind sie dennoch nicht gleich. Die Tatsache, dass sie sich zueinander wie Bild und Spiegelbild verhalten, nennt man Chiralität (vom griechischen Cheiro für Hand). In der Natur kommt jedoch oft nur ein Enantiomer vor, zum Beispiel bei Aminosäuren, der DNA oder bei Zuckern. Der Grund dafür ist, dass die Enzyme die diese Moleküle herstellen, selbst chiral sind und nur eine Art von Enantiomer bilden.
Diese Präferenz der Natur hat weitreichende Folgen. So können Enantiomere von Medikamenten völlig verschiedene Wirkungen haben, zum Beispiel giftig sein oder auch komplett wirkungslos. Auch die Lebensmittel- und Kosmetikindustrie interessiert sich für Chiralität, weil Duft- und Geschmacksstoffe je nach Enantiomer unterschiedlich wahrgenommen werden. In der Chemie wird deshalb oft versucht, gezielt nur ein Enantiomer herzustellen, oder wenn das nicht möglich ist, Mischungen von Enantiomeren sauber zu trennen.
Um Enantiomere voneinander unterscheiden zu können, verwenden Chemiker polarisiertes Licht, denn die Enantiomere drehen die Schwingungsebene von polarisiertem Licht in entgegengesetzte Richtungen. Das Brechen oder Bilden von chemischen Bindungen läuft allerdings auf einer sehr kurzen Zeitskala ab, nämlich innerhalb von wenigen Femtosekunden (Billiardstelsekunden). Mit den bisherigen Messungen war es nicht möglich, die Chiralität in dermassen kurzen Zeiträumen zu überwachen und damit einen chemischen Prozess zu verfolgen.
Reaktionen chiraler Moleküle besser verstehen
Forscher um Hans Jakob Wörner, Professor am Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften, haben nun eine neue Methode entwickelt, um Änderungen in der Chiralität direkt während einer chemischen Reaktion in Echtzeit zu beobachten. Dazu haben die Forscher Femtosekunden-Laserpulse mit massgeschneiderter zeitlich variierender Polarisation erzeugt. Diese ultrakurzen Laserpulse sind selbst chiral. Durch diesen neuen Ansatz erreichten die Wissenschaftler erstmals gleichzeitig die für solche Messungen nötige Chiralitätsempfindlichkeit und Zeitauflösung.
In ihrem Experiment, über das die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift PNAS berichten, regten sie das gasförmige chirale Molekül (R)‑2‑Iodobutan mit zwei ultrakurzen Ultraviolett‑Laserimpulsen an. Die Anregung führte dazu, dass die Bindung zwischen Kohlenstoff und Iod brach. In diesem Prozess entsteht ein 2-Butylradikal zunächst in einer chiralen Konformation, die jedoch ihre Chiralität sehr schnell verliert. Mithilfe der neu entwickelten polarisierten Laserimpulse konnten die Forscher dies live mitverfolgen.
Diese neue Methode kann auch für Flüssigkeiten oder Feststoffe angewendet werden, um die extrem schnellen Änderungen molekularer Chiralität zu beobachten, wie die Wissenschaftler sagen. Die Möglichkeit, die chirale photochemischen Prozesse auf solch kurzen Zeitskalen direkt zugänglich zu machen, erlaube es nun, die Reaktionen von chiralen Molekülen besser zu verstehen. Dies könnte zur Entwicklung neuer oder verbesserter Verfahren für die Herstellung enantiomerenreiner Verbindungen beitragen.
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