Forschungsteam stoppt zeitlichen Abstand von Elektronen innerhalb eines Atoms

Neue Methode führt zu dramatischer Verbesserung der erreichbaren Auflösung bei Freie-Elektronen-Lasern

20.01.2021 - Deutschland

Seit mehr als einem Jahrzehnt liefern Röntgen-Freie-Elektronen-Laser (XFELs) schon intensive, ultrakurze Lichtpulse im harten Röntgenbereich. Einige der vielversprechendsten Anwendungen von XFELs liegen in der Biologie, wo Materialien auf der atomaren Skala abgebildet werden können, bevor die Strahlung sie zerstört. Auch in der Physik und Chemie beleuchten solche Röntgenstrahlen inzwischen die schnellsten Prozesse in der Natur mit Verschlusszeiten im Femtosekundenbereich – also Millionsteln einer Milliardstelsekunde.

© Daniel Haynes / Jörg Harms

Künstlerische Darstellung des Experiments. Die inhärente Verzögerung zwischen der Emission der beiden Arten von Elektronen führt zu einer charakteristischen Ellipse in den analysierten Daten. Im Prinzip kann die Position einzelner Datenpunkte um die Ellipse herum wie die Zeiger einer Uhr abgelesen werden, um den genauen zeitlichen Ablauf der dynamischen Prozesse aufzudecken.

Auf diesen winzigen Zeitskalen ist es jedoch extrem schwierig, den Röntgenpuls, der eine Reaktion in der Probe auslöst, mit dem 'beobachtenden' Laserpuls zu synchronisieren. Dieses Problem wird Timing-Jitter genannt und beeinträchtigt die Versuche, zeitaufgelöste Experimente an XFELs mit immer kürzerer Auflösung durchzuführen.

Nun hat ein großes internationales Forschungsteam aus dem MPSD und DESY in Hamburg, dem Paul-Scherrer-Institut (PSI) in der Schweiz und weiteren Institutionen aus sieben Ländern eine Methode entwickelt, die dieses Problem bei XFELs umgeht. Wie in Nature Physics beschrieben, wies das Team ihre Wirksamkeit anhand der Messung eines fundamentalen Zerfallsprozesses im Edelgas Neon nach.

Viele biologische Systeme - und einige nicht-biologische - erleiden Schäden, wenn sie durch einen Röntgenpuls aus einem XFEL angeregt werden. Eine der Ursachen ist der sogenannte Auger-Zerfall. Der Röntgenpuls katapultiert die Photoelektronen des Kernniveaus in der Probe aus ihrer Position, was dazu führt, dass sie durch Elektronen in den äußeren Schalen ersetzt werden. Wenn diese Außenelektronen in die inneren Schalen fallen, setzen sie Energie frei, die die Emission eines weiteren, sogenannten Auger-Elektrons auslösen kann. Sowohl die intensive Röntgenstrahlung als auch die fortgesetzte Emission von Auger-Elektronen verursachen Strahlenschäden, die die Probe schnell zersetzen können. Die zeitliche Vermessung des Auger-Zerfalls kann helfen, Strahlenschäden bei Experimenten zur Untersuchung verschiedener Moleküle zu vermeiden. Darüber hinaus ist der Zerfall ein Schlüsselparameter bei der Untersuchung exotischer, hochangeregter Zustände der Materie, die nur an XFELs erforscht werden können.

Normalerweise schließt das Timing-Jitter-Problem jedoch zeitaufgelöste Studien eines solch kurzen Prozesses an einem XFEL aus. Um dies zu umgehen, entwickelten die Forscher einen bahnbrechenden, hochpräzisen Ansatz, um den Auger-Zerfall aufzuzeichnen. Mithilfe dieser Technik, dem ‚selbstreferenzierten Attosekunden-Streaking‘, zeichneten sie Tausende von Bildern der emittierten Elektronen auf und berechneten den genauen Zeitpunkt der Emission anhand dieser Daten. „Ursprünglich für die Charakterisierung von Röntgenpulsen an Freie‐Elektronen‐Lasern entwickelt, ist es faszinierend zu sehen, wie unsere Weiterentwicklung dieser Technik für Anwendungen in ultraschnellen wissenschaftlichen Experimenten funktioniert“, sagt Christopher Behrens, Wissenschaftler in der FLASH-Photonenforschungsgruppe bei DESY und Mitautor der Veröffentlichung.

Für die erste Anwendung der Methode verwendete das Team das Edelgas Neon, dessen Zerfallszeiten bekannt sind. In zehntausenden Einzelmessungen bestimmten die Forscher die endgültige kinetische Energie beider Arten von emittierten Elektronen, die sie einem externen "Streak"-Laserpuls ausgesetzt hatten. Entscheidend ist, dass die Auger-Elektronen bei jeder Messung stets etwas später mit dem einfallenden Laserpuls wechselwirken als die zuerst herausgeschlagenen Photoelektronen – ein konstanter Faktor, auf dem die neue Methode basiert. Durch die Kombination der vielen Einzelbeobachtungen konnte das Team eine detaillierte Abbildung des physikalischen Prozesses konstruieren und so die charakteristische Zeitverzögerung zwischen der Photo- und Auger-Emission bestimmen.

Hauptautor Daniel Haynes, Doktorand am MPSD, sagt: „Selbstreferenziertes Streaking ermöglichte es uns, die Verzögerung zwischen Röntgen-Ionisation und Auger-Emission in Neongas mit Sub-Femtosekunden-Präzision zu messen, obwohl der Timing-Jitter während des Experiments im Hundert-Femtosekunden-Bereich lag. Das ist so, als würde man versuchen, das Ende eines Rennens zu fotografieren, wenn der Kameraverschluss jederzeit in den letzten zehn Sekunden auslösen könnte."

Zudem zeigten die Messungen, dass die Photoionisation, sowie die anschließende Relaxation und der Auger-Zerfall, in der theoretischen Beschreibung des Auger-Zerfalls als ein einziger, einheitlicher statt als ein zweistufiger Prozess behandelt werden. In bisherigen zeitaufgelösten Studien wurde der Zerfall auf semiklassische Weise modelliert.

Jenes Modell erwies sich bei Messungen am LCLS und generell an XFELs unter den jetzigen Bedingungen jedoch als unzureichend. Stattdessen wendeten Andrey Kazansky und Nikolay Kabachnik, die an dem Projekt beteiligten Theoretiker, ein vollständig quantenmechanisches Modell an, um die fundamentale Auger-Zerfallsdauer aus der experimentell beobachteten Verzögerung zwischen Ionisation und Auger-Emission zu bestimmen.

Die Forscher hoffen, dass das selbstreferenzierte Streaking für weite Teile der ultraschnellen Forschung von Bedeutung sein wird. Die Methode ermöglicht die Ausweitung der traditionellen Attosekunden-Streaking-Spektroskopie von Laborquellen auf XFELs weltweit, die sich der Attosekunden-Grenze nähern. Auf diese Weise kann das selbstreferenzierte Streaking eine neue Klasse von Experimenten unterstützen, die von der Flexibilität und der extremen Intensität von XFELs profitieren, ohne dabei Kompromisse bei der Zeitauflösung einzugehen.

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