Mit einem neuartigen Mikroskop dem Wunder des Sauerstoffs auf der Spur
Forscher verfolgen den ersten Schritt der Reaktion eines einzelnen Moleküls mit Sauerstoff in beispielloser Auflösung
Jascha Repp
Der Sauerstoff ist ein erstaunliches Molekül, es ist magnetisch. In flüssiger Form lässt er sich wie Eisenspäne mit einem Magneten hochheben. Diese Eigenschaft hat etwas mit den Elektronen im Sauerstoff zu tun. Alle Moleküle bestehen aus Atomkernen und Elektronen, die sich wiederum wie kleine Kompassnadeln verhalten. Üblicherweise stehen die Kompassnadeln der Elektronen paarweise entgegengesetzt, sodass sich deren magnetischen Kräfte aufheben. Aber im Sauerstoffmolekül, das aus zwei Sauerstoffatomen besteht, zeigen beide Kompassnadeln in die gleiche Richtung und der Sauerstoff wirkt magnetisch.
Farbstoffmoleküle hingegen sind nicht magnetisch, weil die Kompassnadeln der Elektronen in entgegengesetzte Richtungen zeigen. Fällt Licht auf ein solches Molekül, so wird es bei einer bestimmten Farbe absorbiert, wodurch der Farbstoff seine charakteristische Erscheinung bekommt. Die Energie des Lichts wird dabei auf ein Elektron des Farbstoffmoleküls übertragen. Dies hebt die Paarung von je zwei Elektronen auf, sodass die Kompassnadel des Elektrons spontan ihre Ausrichtung ändern kann. In seinen Ursprungszustand kann es nicht mehr zurück, weil die Nadeln jetzt in die gleiche Richtung zeigen. Bei diesem Effekt handelt es sich um einen durch Licht angeregten magnetischen Zustand, den sogenannten „Triplett“.
Das internationale Forschungsteam um Prof. Jascha Repp hat nun erstmals untersucht, wie diese „Triplett-Energie“ von einem einzelnen Farbstoffmolekül auf ein einziges Sauerstoffmolekül übertragen wird. Dieser Prozess ist im alltäglichen Leben von zentraler Bedeutung, da viele Oxidationsreaktionen über den angeregten Triplett-Zustand ablaufen. Solange das Molekül sich nämlich in diesem Zustand befindet, solange steckt die Energie des absorbierten Lichts im Molekül. Chemische Reaktionen werden dadurch begünstigt.
Für eine vollständige Abregung des Moleküls ist eine abermalige Umkehr der Ausrichtung der Kompassnadel notwendig, was unwahrscheinlich ist und lange dauert. Alternativ kann die Energie an ein weiteres magnetisches Molekül, den Sauerstoff übertragen werden. Durch diese Übertragung wird das Farbstoffmolekül abgeregt, aber der Sauerstoff wird reaktiv und kann beispielsweise den Farbstoff ausbleichen. Dies passiert mit dem T-Shirt in der Sonne, aber auch mit den Pigmenten der Haut beim Sonnenbrand.
Dem Team gelang es nun, den Energieübertrag von Farbstoff zu Sauerstoff direkt zu verfolgen, ohne den Farbstoff zu zerstören. Dazu wurden einzelne Moleküle bei sehr tiefen Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt auf eine Oberfläche gebracht und mit einem sogenannten Rasterkraftmikroskop abgebildet, d. h. einer feinen Nadel mit einem einzelnen Atom an ihrer Spitze, welche über das Molekül gefahren wird. Durch eine geschickte Abfolge elektrischer Pulse wurde der Farbstoff im Triplett-Zustand präpariert. Die Energieübertragung zum Sauerstoff verfolgt man nun, indem man die Kraft zwischen Spitze und Molekül zeitlich misst. Dieser neue Forschungsansatz erlaubt es, diese Art der Messungen für ganz unterschiedliche geometrische Anordnungen der beiden involvierten Moleküle zu wiederholen und so erstmals den direkten Zusammenhang zwischen der Zeitdauer des Energietransfers und der dazugehörigen atomaren Anordnung herzustellen.
Dieser spektakuläre Durchbruch wurde im führenden Wissenschaftsmagazin Science veröffentlicht. Die Wissenschaftler hoffen, so endlich die Grundlagen für ein mikroskopisches Verständnis der Oxidationsreaktion zu erreichen. Neben dem lästigen Ausbleichen von T-Shirts spielt diese Wechselwirkung von Triplett-Anregungen in Molekülen nämlich auch in zukunftsrelevanten Technologien eine zentrale Rolle, so in organischen Leuchtdioden (OLEDs) und Solarzellen, in der photokatalytischen Energiekonversion und der Photosynthese sowie in der photodynamischen Krebstherapie.
Methodisch ist dies eine neue Form von zugleich zeitlich und räumlich auflösender Mikroskopie, passend zum Forschungsleitbild des neuen Regensburger Zentrums für Ultraschnelle Nanoskopie (RUN), dessen Forschungsbau gerade am Regensburger Campus entsteht.