Überraschende Vielfalt: Halbleiter-Nanopartikel formen zahlreiche Strukturen

Röntgenuntersuchung zeigt Selbstorganisation von Bleisulfid-Partikeln live

13.08.2021 - Deutschland

Bleisulfid-Nanopartikel wechseln überraschend oft die Struktur, wenn sie sich zu größeren Schichten zusammenlagern. Das zeigt eine Untersuchung an DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III. Ein Team um Irina Lokteva und Felix Lehmkühler aus der DESY-Arbeitsgruppe Coherent X-ray Scattering unter der Leitung von Gerhard Grübel hat die Selbstorganisation der Halbleiter-Nanopartikel live verfolgt und stellt die Beobachtungen im Fachblatt „Chemistry of Materials“ vor. Die Studie hilft, die Selbstorganisation von Nanopartikeln besser zu verstehen, die zu erheblich unterschiedlichen Strukturen führen kann.

University of Hamburg, Stefan Werner

Die etwa acht Nanometer (millionstel Millimeter) kleinen Bleisulfid-Nanopartikel ordnen sich zunächst zu eine Schicht mit Sechseck-Symmetrie.

Bleisulfid-Nanopartikel kommen unter anderem in Solarzellen, Leuchtdioden und anderen elektronischen Bauelementen zum Einsatz. In der Studie untersuchte das Team, wie sich die Partikel selbst zu einer größeren Schicht organisieren. Dazu füllten sie die Nanopartikel in einem Tropfen Lösungsmittel (25 millionstel Liter) in ein kleines Gefäß und ließen das Lösungsmittel innerhalb von zwei Stunden langsam verdampfen. Per Röntgenstrahl verfolgten die Wissenschaftlerin und ihre Kollegen an der Messstation P10 live, in welcher Struktur sich die Partikel aneinanderlagerten.

Überraschenderweise wechselten die Partikel diese Struktur mehrfach im Laufe des Prozesses. „Zunächst sehen wir, wie sich die Nanopartikel zu einer Anordnung mit einer Sechseck-Symmetrie annähern, woraus dann auch eine feste Schicht mit einem sechseckigen Kristallgitter entsteht“, berichtet Lokteva. „Aber dann springt das Kristallgitter plötzlich um in eine Struktur mit Würfelsymmetrie. Und im Verlauf der Trocknung passiert das noch zwei Mal, zu einem Kristallgitter mit Rechtecksymmetrie und schließlich wieder zu einem mit einer anderen Würfelsymmetrie.” Dieser Verlauf war bislang noch in keiner Studie so detailliert gezeigt worden.

Das Team vermutet, dass die Sechseck-Struktur (hexagonales Kristallgitter HCP) solange bestehen bleibt, wie die Oberfläche der Partikel vom Lösungsmittel benetzt ist. Fällt die Schicht trocken, ändert sich ihre innere Struktur zu einer Würfelsymmetrie (kubisches Kristallgitter BCC). Die Schicht besitzt dann aber immer noch Reste vom Lösungsmittel in ihrem Inneren zwischen den einzelnen Nanopartikeln. Während auch dieses verdampft, ändert sich die Struktur erneut zweimal (tetragonales Kristallgitter BCT und kubisches Kristallgitter FCC).

Die finale Struktur der Schicht ist von verschiedenen Faktoren abhängig, wie Lokteva betont. Dazu gehören die Art des Lösungsmittels und wie schnell es verdampft, die Größe und Konzentration der Nanopartikel, aber auch welche sogenannten Liganden in welcher Dichte die Partikel umgeben. Als Liganden bezeichnen Wissenschaftler hier bestimmte Moleküle, die sich rund um die Nanopartikel anlagern und ein zu frühes Zusammenklumpen verhindern. In der Studie verwendete das Team dafür Ölsäure, die sich um die Partikel legt – ähnlich wie Wachs das Zusammenkleben von Gummibärchen in der Tüte verhindert. Das ist ein in der Nanotechnik etabliertes Verfahren.

„Nach unseren Untersuchungen hängt die finale Struktur der Schicht auch davon ab, ob die einzelnen Nanopartikel von vielen oder wenigen Ölsäure-Molekülen umgeben sind“, berichtet Lokteva. „Bei einer hohen Ligandendichte haben wir in einer früheren Untersuchung Schichten mit einer BCC/BCT-Kristallstruktur erhalten. Hier haben wir gezielt Nanopartikel mit einer geringen Ligandendichte untersucht und eine FCC-Struktur bekommen. Die Ligandendichte sollte bei der Verwendung von Nanopartikeln also bestimmt werden, das ist im Moment noch nicht Standard”, sagt die DESY-Forscherin.

Die Beobachtungen sind auch für andere Materialien von Bedeutung, betont das Team. „Bleisulfid ist ein interessantes Modellsystem, das uns hilft, die Mechanismen der Selbstorganisation von Nanopartikeln generell besser zu verstehen“, erläutert Lokteva. „Die Natur kann über das Phänomen der Selbstorganisation Nanostrukturen mit verschiedenen interessanten Eigenschaften liefern, und wir haben jetzt die Werkzeuge, um der Natur bei der Konstruktion dieser Strukturen live über die Schulter zu schauen.“

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