Aus der Mikroskopie bekannte Zellmarkierungsmethode erstmals für die Ganzkörperbildgebung umgesetzt

Forscher entwickeln Bildgebungsmethoden, um Vorgänge im Körper von einzelnen Bausteinen bis zum Gesamtsystem zu untersuchen

01.10.2021 - Deutschland

Wissenschaftler der Universität Münster haben erstmals mit der sogenannten SNAP-tag-Technologie Zellen radioaktiv und im lebenden Organismus markiert. In einer Machbarkeitsstudie entwickelten sie ein SNAP-tag-Substrat mit dem radioaktiven Signalgeber Fluor-18 und machten damit Tumorzellen im Körper von Mäusen mit PET-Bildgebung sichtbar. Die in der Mikroskopie bereits etablierte Markierungsmethode eröffnet die Perspektive, Zellen mit unterschiedlichen Bildgebungsverfahren und in verschiedenen zeitlichen Stadien zu untersuchen – beispielsweise wenn eine Entzündung beginnt, anhält und wieder abklingt – und besser zu verstehen, wie Funktionen einzelner Zellen und ganzer Organe zusammenhängen.

Depke D et al.

PET-Bildgebung von Tumoren (gestrichelte Kreise) bei einer Maus (rechts im Querschnitt) mithilfe eines neuen radioaktiven Substrats. Tumorzellen, die ein SNAP-tag-Enzym bilden, nahmen die Radioaktivität auf (orange), Zellen ohne dieses Enzym nicht.

Mit bildgebenden Verfahren werden Vorgänge und Strukturen im Körper sichtbar, die dem Auge normalerweise verborgen bleiben. Wissenschaftler erforschen mit Hilfe der Bildgebung komplexe Funktionen von Zellen und Organen und suchen nach Möglichkeiten, Krankheiten besser erkennen und behandeln zu können. Im medizinischen Alltag unterstützen Bilder aus dem Körper Ärztinnen und Ärzte dabei, Diagnosen zu stellen und zu überprüfen, ob Therapien wirken. Um bestimmte Vorgänge im Körper überhaupt darstellen zu können, entwickeln Forscher neue Techniken, Zellen oder Moleküle zu markieren, so dass diese Signale aussenden, die sich außerhalb des Körpers messen und in aussagekräftige Bilder übersetzen lassen. Ein Forschungsteam der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster hat jetzt eine aktuelle Zellmarkierungsstrategie aus der Mikroskopie – die sogenannte SNAP-tag-Technologie – erstmals für die Ganzkörperbildgebung mit Positronen-Emissions-Tomographie (PET) umgesetzt.

Die Markierung der Zellen erfolgt bei dieser Methode in zwei Schritten und funktioniert für ganz unterschiedliche Zelltypen, beispielsweise Tumor- oder Entzündungszellen: Zuerst werden die Zellen genetisch verändert, so dass sie auf ihrer Oberfläche ein sogenanntes SNAP-tag-Enzym bilden, das nur auf diesen Zellen zu finden ist. Dieses wird dann mit einem passenden SNAP-tag-Substrat zusammengebracht. Das Substrat ist mit einem Signalgeber markiert und chemisch so aufgebaut, dass es von dem Enzym erkannt und gespalten wird und der Signalgeber dabei auf das Enzym übertragen wird. Das Enzym verändert sich dabei so, dass es nicht weiter aktiv ist und der Signalgeber somit fest daran gekoppelt bleibt. „Durch seine biologische Aktivität markiert sich das SNAP-tag-Enzym sozusagen selbst – das geht sehr schnell und ohne die natürlichen Vorgänge im Organismus zu stören“, erklärt Dominic Depke, Biologiedoktorand und einer der federführenden Autoren der aktuellen Studie.

Als Signalgeber für die Mikroskopie werden fluoreszierende Farbstoffe verwendet. Diese sind für die Ganzkörperbildgebung jedoch kaum geeignet, da ihre Signale durch dickere Gewebeschichten gestreut werden und sich dann nicht mehr messen lassen. Die Wissenschaftler synthetisierten daher ein neues SNAP-tag-Substrat mit dem radioaktiven Signalgeber Fluor-18. Das Substrat wird über den Blutkreislauf in den Organismus injiziert, und es gelang dem Team, damit Tumorzellen im Organismus von Mäusen zu markieren und mit PET-Bildgebung sichtbar zu machen. „Das Spannende an der SNAP-tag-Technologie ist für uns, dass sie die Perspektive eröffnet, genetisch kodierte Zellen im Körper mit unterschiedlichen Bildgebungsmodalitäten und in verschiedenen zeitlichen Stadien sichtbar zu machen – wir nennen das multiskalige Bildgebung“, erklärt der Nuklearmediziner Prof. Dr. Michael Schäfers. „Radioaktive Signale von Fluor-18 bleiben nur für kurze Zeit stabil“, ergänzt der Radiochemiker Dr. Christian Paul Konken, „da wir den zweiten Schritt der Markierung aber wiederholen können, können wir dieselben Zellen potenziell über Tage und Wochen immer wieder sichtbar machen.“ Mit dem hohen Detailgrad der Mikroskopie lässt sich untersuchen, wie einzelne Zellen miteinander kommunizieren. Der Gesamtblick der Ganzkörperbildgebung erlaubt es, zu beurteilen, wie diese Zellen als Teil ganzer Organsysteme funktionieren. Im zeitlichen Verlauf kann sich zeigen, welche Rolle einzelne Zelltypen beispielsweise bei einer Entzündung spielen, wenn sie beginnt, anhält und wieder abklingt. „Erst wenn wir all diese Informationen vereinen, können wir verstehen, wie im Körper alles miteinander zusammenhängt“, sagt Michael Schäfers.

Ein kleiner Anfang mit großem Potenzial

„Unsere Untersuchungen sind ein allererster Schritt, mit dem wir gezeigt haben, dass eine Markierung von Zellen mit SNAP-tags grundsätzlich im lebenden Organismus funktioniert“, betont die Biochemikerin Prof. Dr. Andrea Rentmeister. „Dabei kommt es darauf an, dass sich das Substrat im Organismus schnell verteilt und dass es ausschließlich an die zu untersuchenden Zellen bindet.“ Entscheidende weitere Schritte werden sein, zu prüfen, wie wenige Zellen genügen, um ein ausreichend starkes Signal zu erhalten, und ob sich mit der Methode auch Zellen sichtbar machen lassen, die sich im Organismus bewegen – insbesondere Zellen des Immunsystems. Sollte sich der Ansatz weiter bewähren, könnte er perspektivisch für die Forschung zu Immuntherapien von Bedeutung sein, bei denen körpereigene Immunzellen im Labor genetisch verändert werden, so dass sie eine Krankheit gezielt bekämpfen können. Solche Therapien werden bereits bei Krebserkrankungen eingesetzt und haben auch für entzündliche Erkrankungen Potenzial. Die Bildgebung könnte dabei helfen, sie zu entwickeln und zu verbessern.

Als die Wissenschaftler ihre Ergebnisse erstmals auf einer Fachkonferenz vorstellten, erlebten sie eine Überraschung: Kolleginnen und Kollegen aus Tübingen präsentierten dort zeitgleich eine ähnliche Studie. Unabhängig voneinander hatten beide Forschungsteams im Kern die gleiche Idee: ein mit Fluor-18 markiertes SNAP-tag-Substrat. Sie setzten die Idee chemisch unterschiedlich um, testeten die fertigen Substrate aber im gleichen biologischen Modellsystem und kamen zu ähnlichen Ergebnissen. „Das zeigt, wie aktuell unsere Fragestellung ist, und dass unsere Ergebnisse reproduzierbar und wirklich vielversprechend sind“, sagt Michael Schäfers. Das Tübinger Team entwickle neue Markierungsmethoden, um Immunzellen bei Tumorerkrankungen zu untersuchen, das Team in Münster konzentriere sich auf entzündliche Erkrankungen – insofern ergänze sich die Forschung sehr gut. Die münsterschen Wissenschaftler veröffentlichten ihre Studie in der Fachzeitschrift „Chemical Communications“, nur wenige Tage später erschien die Publikation aus Tübingen in „Pharmaceuticals“.

Herstellung des neuen Substrats für den SNAP-tag

Das neu entwickelte Molekül basiert – wie alle SNAP-tag-Substrate – auf Benzylguanin. Daran brachten die Wissenschaftler das radioaktive Isotop Fluor-18 an, das sich ideal für die PET-Bildgebung eignet. „Unser Ziel war, die Synthese in wenigen schnellen Schritten zu gestalten, damit wir ein möglichst starkes Signal erhalten – denn Fluor-18 hat eine kurze Halbwertszeit, die Radioaktivität reduziert sich nach jeweils 110 Minuten um die Hälfte“, erklärt Christian Paul Konken. Zunächst hatten die Wissenschaftler das Problem, dass das Fluor-18 sich nicht an die richtige Molekülposition heftete. „Das Benzylguanin war offensichtlich zu empfindlich, um es direkt mit Fluor-18 zu markieren“, erzählt der Biochemiedoktorand Lukas Rösner, „deshalb haben wir zuerst ein kleines, gegen die nötigen chemischen Reaktionen unempfindliches Molekül markiert – das Fluorethylazid – und dieses dann mit einer Click-Reaktion, die sehr schnell und selektiv ist, an das Benzylguanin geheftet.“

Tests in Reagenzglas, Zellkultur und Organismus

Die Wissenschaftler überprüften zunächst im Reagenzglas, ob das fertige Substrat stabil bleibt, wenn es mit Blut in Kontakt kommt, und untersuchten dann in einem ersten Praxistest in Zellkultur, wie Zellen mit dem Substrat interagieren. Dabei verglichen sie menschliche Tumorzellen, in die sie das SNAP-tag-Enzym genetisch eingebaut hatten, mit solchen, die das Enzym nicht bildeten. „Wir konnten ganz deutlich erkennen, dass die Radioaktivität nur von den Zellen aufgenommen wurde, die das SNAP-tag-Enzym bildeten“, sagt Dominic Depke. Abschließend führte das Team gezielte Untersuchungen mit einzelnen Mäusen durch. „Dieser Schritt war noch mal entscheidend“, erklärt Michael Schäfers, „denn wie sich ein Molekül in der komplexen biologischen Umgebung im lebenden Organismus verhält, lässt sich in Zellkultur oder mit künstlich hergestellten Organen nicht vollständig simulieren.“ Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass sich das in den Blutkreislauf injizierte Substrat sehr schnell im Körper verteilt, und über welche Wege es ausgeschieden wird. Zudem verglichen sie nun auch im Organismus, wie Tumorzellen mit und ohne SNAP-tag-Enzym auf das Substrat reagierten. Die Tumorzellen wurden den Mäusen dazu unter die Haut gespritzt und nach der Untersuchung entnommen, um die Ergebnisse mittels Autoradiographie nochmals abzusichern.

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