Corona: Neue Einblicke in die Antikörper-Reaktion gegen Virusvarianten

Kreuzreaktivität könnte sich als ein wichtiger Aspekt künftiger Impfungen erweisen

27.01.2022 - Deutschland

Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) präsentieren im Wissenschaftsjournal Science neue Erkenntnisse über die Immunreaktion gegen SARS-CoV-2. Ihre Studie beruht auf Untersuchungen von Antikörpern, die infolge einer Infektion mit der Beta-Variante des Virus entstanden waren. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gelangen zu dem Schluss, dass die Beta-Variante eine breite Immunität gegen mehrere Virusstämme hervorruft, die für den Schutz gegen die derzeit vorherrschenden Varianten Delta und Omikron sowie gegen künftige Virusvarianten von Vorteil sein könnte. Ihrer Ansicht nach sollte dieser Aspekt bei der Entwicklung von Impfstrategien berücksichtigt werden.

© Charité | Arne Sattler

Test auf Antikörper gegen SARS-CoV-2

„Die Beta-Variante des Coronavirus zeigt deutliche Unterschiede zum Wildtyp, dem ursprünglichen Virusstamm. Bis zum Auftauchen der nun weit verbreiteten Omikron-Variante war es die Virusform, die sich am weitesten vom Wildtyp fortentwickelt hatte, auf den die bisherigen Impfstoffe ausgelegt sind“, sagt Dr. Momsen Reincke, Forscher an der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie am Campus Charité Mitte und am DZNE sowie einer der Erstautoren der aktuellen Veröffentlichung. „Wir wollten nun mehr über die genaue Antikörper-Antwort auf diese Variante herausfinden – um zu sehen, welche Rückschlüsse daraus auf die Immunantwort bei anderen Varianten möglich sind. Da das Coronavirus wahrscheinlich weiter mutieren wird, interessierte uns, ob die gefundenen Antikörper nur gegen die Beta-Variante wirken oder breiteres Potenzial haben.“

Antikörper sind Eiweißstoffe, mit denen sich der Körper gegen Krankheitserreger zur Wehr setzt. Das menschliche Immunsystem kann davon eine schier unerschöpfliche Vielfalt herstellen, wofür es sich verschiedener Mechanismen bedient: insbesondere, indem die im Genom hinterlegten Baupläne für die Komponenten eines Antikörpers immer wieder neu kombiniert werden. „Auch die Immunantwort auf das Coronavirus bringt ein Spektrum an Antikörpern hervor, die an unterschiedliche Bereiche des Erregers binden“, erklärt Dr. Reincke. Aus Sicht der Immunabwehr besonders effektiv ist eine Bindung an das sogenannte Spike-Protein. „Das ist gewissermaßen der Haken, mit dem sich das Virus an Körperzellen festmacht, um sich dann einzuschleusen. Manche Antikörper binden an dieses Protein und setzen den Haken außer Kraft. Das sind die neutralisierenden Antikörper. Genau solche haben wir in unserer Studie untersucht.“

Die Befunde der Berliner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beruhen auf einer Analyse von Antikörpern, die sie aus dem Blut von 40 Erwachsenen isolieren konnten. Alle diese Patientinnen und Patienten hatten sich mit der Beta-Variante von SARS-CoV-2 infiziert. Von den ursprünglich rund 300 erfassten Antikörpern koppelten 81 besonders stark an das Spike-Protein des Coronavirus. Dr. Reincke und seine Kolleginnen und Kollegen entschlüsselten die genetischen Baupläne der Antikörper. So konnten sie nachvollziehen, welche Gene beim Zusammenbau dieser Antikörper eine Rolle spielen und außerdem diese Immunproteine für weitere Untersuchungen künstlich herstellen. Dabei profitierten sie von einem Förderprojekt der Helmholtz-Gemeinschaft, dem „BaoBab Innovation Lab“, in dessen Rahmen sie Technologien zur Charakterisierung und Herstellung von Antikörpern entwickeln und verfeinern.

„Wir haben getestet, ob Antikörper gegen die Beta-Variante auch gegen andere Virusvarianten wirken. Das nennt man Kreuzreaktivität. Unsere Analysen zeigen, dass einige dieser Antikörper beim Wildtyp wenig ausrichten. Andere wiederum sind sehr wohl wirksam gegen den ursprünglichen Virusstamm und zugleich gegen manche der Variants of Concern, also jene Virusformen, die als besonders besorgniserregend gelten. Ein Teil der Antikörper gegen Beta ist sogar wirksam gegen die aktuell zirkulierenden Varianten Delta und Omikron“, sagt Dr. Jakob Kreye, Letztautor der Studie und Wissenschaftler an der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Neurologie und der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie der Charité sowie am DZNE.

Der Schlüssel für die Kreuzreaktivität liegt darin, an welche Stelle des Spike-Proteins der jeweilige Antikörper bindet und ob sich diese Stelle zwischen den Virusvarianten verändert hat. „Die Antikörper mit breiter Wirksamkeit richten sich gegen Bereiche des Spike-Proteins, die bei den bisherigen Virusvarianten weitgehend gleichgeblieben sind“, erläutert Dr. Kreye. Doch im Fall von Omikron gibt es hiervon auch Ausnahmen. „Wir haben jedoch Antikörper gefunden, die gut sowohl gegen Beta als auch gegen Omikron wirken und gegen andere Varianten nur schwach. Diese speziellen Antikörper binden an Stellen des Spike-Proteins, die bei Beta und Omikron recht ähnlich sind, bei anderen Varianten jedoch nicht.“

Die Kreuzreaktivität könnte sich als ein wichtiger Aspekt künftiger Impfungen erweisen: „Auch einzelne Antikörper gegen den Wildtyp haben breite Wirksamkeit. Das ist in der Literatur beschrieben und zeigen auch Untersuchungen aus unserem Labor. Fasst man diese Daten und unsere aktuellen Befunde zusammen, kommen wir zu dem Schluss, dass Antikörper, die gegen unterschiedliche Virusvarianten erzeugt wurden, sich ergänzen und so gemeinsam die Schlagkraft der Immunantwort gegen neu auftretende Varianten verbessern können. Größtmögliche Vielfalt in der Antikörper-Antwort scheint sinnvoll zu sein“, sagt Prof. Dr. Harald Prüß, Oberarzt an der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie am Campus Charité Mitte und Forschungsgruppenleiter am DZNE. Dr. Kreye ergänzt: „Die gleichzeitige oder auch eine aufeinanderfolgende Impfung gegen verschiedene schon bekannte Varianten würde wahrscheinlich verstärkten Schutz bieten vor möglichen weiteren Formen des Coronavirus. Dieser Ansatz könnte für die Fortentwicklung der Impfstrategien relevant sein, denn es ist davon auszugehen, dass sich der Erreger auch künftig immer wieder verändern wird.“

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