Spiegelbilder kontrollieren

Chirale Moleküle getrennt voneinander betrachten

06.05.2022 - Deutschland

Ein Team um die Physikerin Sandra Eibenberger-Arias vom Fritz-Haber-Institut bringt durch eine neue experimentelle Methode die spiegelbildlichen Formen von chiralen Molekülen besser als zuvor in unterschiedliche Rotationszustände. Das öffnet Türen zu einem tieferen Verständnis und Manipulierbarkeit dieser häufigen Molekülart für zukünftige Anwendungen.

Johannes Bischoff

Mit einer neuen experimentelle Methode werden die spiegelbildlichen Formen von chiralen Molekülen besser als zuvor in unterschiedliche Rotationszustände gebracht.

Chiralität ist zwar keine Seltenheit in der Welt der Moleküle, aber dennoch eine besondere Eigenschaft. Ist ein Molekül chiral (von griech. chiros = Hand), existiert es in zwei gespiegelten Versionen, die sich sehr ähnlich sind, aber nicht identisch – wie zwei Hände, die zwar zusammengeklappt aufeinanderpassen, nicht aber deckungsgleich übereinandergelegt werden können. Deshalb spricht man von rechts- und linkshändigen Molekülen, oder auch von Enantiomeren, was im Griechischen "entgegengesetzte Form" bedeutet.

Ein internationales Team von Wissenschaftler:innen vom Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft und des Prochorow Instituts für Allgemeine Physik der Russischen Akademie der Wissenschaften hat einen Weg gefunden, wie man diese Moleküle getrennt voneinander betrachten kann. Da sich chirale Moleküle einander sehr ähneln, ist das eine echte Herausforderung. „Der Trick ist, sie auf eine Art und Weise elektromagnetischer Strahlung auszusetzen, auf die nur eine ‚Händigkeit‘, also nur ein Enantiomer, anspricht. So können wir gezielt rechts- oder linkshändige Moleküle kontrollieren und lernen mehr über sie,“ sagt Dr. Sandra Eibenberger-Arias, Leiterin der Arbeitsgruppe „Kontrollierte Moleküle“ am Fritz-Haber-Institut.

Dies zu lernen ist wichtig, denn Enantiomere haben zum Teil sehr unterschiedliche biologische und chemische Wirksamkeiten, für die Erklärungen gesucht werden. Man nehme zum Beispiel das chirale Molekül Carvon: eine ‚Hand‘ riecht nach Minze, die andere nach Kümmel. Oder das berüchtigte Beruhigungsmittel Contergan, dessen aktiver Wirkstoff das chirale Molekül Thalidomid war: während eine Form den gewollten beruhigenden Effekt hatte, verursachte die andere Geburtsdefekte. Eibenberger-Arias‘ Gruppe setzt bei den physikalischen Eigenschaften an. „Wir gehen theoretisch davon aus, dass es einen kleinen Energieunterschied zwischen den beiden Formen gibt, aufgrund der sogenannten Paritätsverletzung. Experimentell gezeigt werden konnte das bisher allerdings nicht,“ erklärt JuHyeon Lee vom Fritz-Haber-Institut, die Erstautorin der publizierten Ergebnisse, die in der Zeitschrift Physical Review Letters erschienen sind.

Mit einer geschickten Kombination verschiedener Methoden ist die Gruppe der beteiligten Wissenschaftler:innen jedoch einer Möglichkeit auf der Spur, wie das gelingen könnte. Dazu bestrahlen sie chirale Moleküle im Gaszustand mit UV-Lasern und Mikrowellen. Daraufhin befinden sich rechts- und linkshändige Moleküle in unterschiedlichen Rotationszuständen – in welchen genau, das kann durch Änderung der Mikrowellenstrahlung ausgewählt und eingestellt werden. Die Forscher:innen haben auf diese Weise so viel Kontrolle wie noch nie zuvor darüber, welche „Hand“ in welchem Rotationszustand ist. Außerdem haben sie erstmalig die experimentellen Ergebnisse mit den genauen Vorhersagen der Theorie verglichen, was zu einem verbesserten Verständnis der zugrundeliegenden Effekte geführt hat.

Auch wenn noch keine komplette Trennung der Enantiomere mit dieser Methode gelingen konnte, so ist es doch bemerkenswert, dass sie überhaupt so erfolgreich kontrolliert werden konnten. Das widerspricht der häufig verwendeten, vereinfachten Darstellung, diese verfügten über gleiche physikalische Eigenschaften. „Wenn das so wäre, könnten wir die Enantiomere nicht mit physikalischen Methoden kontrollieren,“ sagt Sandra Eibenberger-Arias. Das internationale Team aus jeweils drei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat so eine gute Grundlage für Folgeexperimente geschaffen, und vielleicht sogar für den experimentellen Beweis der Paritätsverletzung. Für die Grundlagenforschung wäre das ein Meilenstein – und für alle zukünftigen Anwendungen ebenso.

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