Primaten und Nichtprimaten unterscheiden sich im Bau der Nervenzellen

Verschiedene Tierarten und hochauflösende Mikroskopie klären über den variablen Ursprung von Axonen auf

08.06.2022 - Deutschland

Mittels hochauflösender Mikroskopie konnte ein internationales Forschungsteam das Wissen über den Aufbau von Nervenzellen verschiedener Arten entscheidend erweitern.

© RUB, Kramer

Die Forschenden arbeiteten ausschließlich mit archivierten Geweben und Präparaten, darunter auch Präparate, welche seit Jahrzehnten für die Ausbildung von Studierenden benutzt wurden und werden.

Forschende der Arbeitsgruppe Entwicklungsneurobiologie der Ruhr-Universität Bochum (RUB) um Prof. Dr. Petra Wahle haben in Zusammenarbeit mit Partnern aus Mannheim, Jülich, Linz, Österreich, und La Laguna, Spanien, gezeigt, dass sich Primaten und Nichtprimaten in der Architektur ihrer kortikalen Neuronen unterscheiden. Die Unterschiede liegen darin, an welcher Stelle der Nervenzelle der als Axon bezeichnete Fortsatz entspringt, der für die Weiterleitung elektrischer Potenziale zuständig ist. Das Team berichtet in der Zeitschrift eLife vom 20. April 2022.

Wenn das Axon aus dem Dendriten entspringt

Bisher galt es als Lehrbuchwissen, dass dieses Axon, von wenigen Ausnahmen abgesehen, aus dem Zellkörper der Nervenzelle entspringt. Das Axon kann jedoch auch von einem Dendriten entspringen. Dendriten sind Fortsätze, die die synaptischen Eingänge sammeln. Das Phänomen wurde mit dem Namen „Axon carrying dendrite“, im Deutschen „Axon-tragender Dendrit“, beschrieben.

Verschiedene Tierarten und hochauflösende Mikroskopie klären über den variablen Ursprung von Axonen auf

„Ein besonderer Aspekt dieses Forschungsprojektes ist, dass nur mit archivierten Geweben und Präparaten gearbeitet wurde, darunter auch Präparate, welche seit Jahrzehnten für die Ausbildung von Studierenden benutzt wurden und werden“, erklärt Petra Wahle. Zudem wurden verschiedene Säugetierarten untersucht, so Vertreter der zoologischen Ordnungen Nagetiere (Maus, Ratte), Huftiere (Schwein), Raubtiere (Katze, Frettchen) sowie Makake und Mensch aus der Ordnung Primates.

Durch den Einsatz von fünf verschiedenen Methoden zur Markierung der Dendriten und des Axons und nach Auszählung von mehr als 34.000 Nervenzellen kamen die Forschenden zu dem Ergebnis, dass es einen speziesabhängigen Unterschied zwischen Nichtprimaten und Primaten gibt. Die erregenden Pyramidalneuronen insbesondere der äußeren Schichten II und III der Großhirnrinde von Primaten besitzen deutlich weniger Axon-tragende Dendriten als Pyramidalneuronen von Nichtprimaten. Ebenso deutliche Unterschiede lassen sich innerhalb einer Spezies (Katze, Mensch) zwischen den verschiedenen Typen der hemmenden Interneuronen feststellen. Hingegen fanden sich bei Primaten keinerlei Unterschiede zwischen primär sensorischen cortikalen Arealen und Arealen für höhere Hirnfunktionen.

Besonders wichtig war die hochauflösende Mikroskopie, wie Petra Wahle beschreibt: „Die Detektion des axonalen Ursprungs konnte so auf der Mikrometerebene genau ermittelt werden, was bei herkömmlicher Lichtmikroskopie manchmal nicht so leicht möglich ist.“

Evolutionärer Vorteil ist noch unbekannt

Über die biologische Funktion der Axon-tragenden Dendriten weiß man noch wenig. Für gewöhnlich verrechnet das Neuron die erregenden Eingänge auf die Dendriten mit der synaptischen Hemmung. Dieser Prozess wird als somatodendritische Integration bezeichnet. Erst danach entscheidet das Neuron, ob die Eingänge stark genug und wichtig genug sind, um sie durch Aktionspotenziale an nachgeschaltete Neuronen und Gehirnareale weiterzuleiten. Axon-tragende Dendriten gelten als privilegiert, weil erregende Eingänge auf diese Dendriten in der Lage sind, direkt Aktionspotenziale auszulösen. Warum dieser speziesabhängige Unterschied in der Evolution entstanden ist und welchen Vorteil er für die neocortikale Informationsverarbeitung bei Primaten haben könnte, ist ungeklärt.

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