Wegweisendes Verfahren für Stammzelldiagnostik
Leif Ludwig erhält Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis
Thomas Rafalzyk, Berlin Institute of Health
Unser Blut erneuert sich ständig. In jeder Sekunde fließen ihm Millionen neuer Zellen zu, die absterbende Blutkörperchen ersetzen. Sie entspringen aus hämatopoetischen (blutbildenden) Stammzellen im Knochenmark und reifen dann Schritt für Schritt über mehrere Vorläuferstufen aus. Dabei werden traditionell vier große Entwicklungslinien unterschieden: Die erste Linie produziert die roten Blutkörperchen, die den Sauerstoff transportieren, die zweite liefert die Thrombozyten, die Blutungen stoppen und Wunden heilen lassen. In der dritten Linie entwickeln sich die weißen Blutkörperchen, die uns mit einer angeborenen Immunabwehr ausstatten, wie beispielsweise die Granulozyten, und in der vierten die B- und T-Zellen, auf deren Einsatz unsere im Infektionsfall erworbene Immunabwehr gründet. Je weiter die Forschung voranschritt, desto undeutlicher ließen sich diese Linien jedoch gegeneinander abgrenzen.
Die hämatopoetischen Stammzellen wurden 1961 entdeckt. Diese Entdeckung ermöglichte in den 1970-er Jahren die Einführung von Knochenmarkstransplantationen zur Behandlung bestimmter Formen von Blutkrebs. Aus der Beobachtung, wie sich transplantierte Zellen im Organismus des Empfängers verhalten, ergaben sich viele neue Erkenntnisse über die Blutbildung. Deren Aussagewert war aber dadurch eingeschränkt, dass sie unter künstlichen Bedingungen gewonnen wurden. Die transplantierten Stammzellen waren ja zuvor ihrem natürlichen Zusammenhang entrissen worden. Mit Hilfe von genetischen Markern gelang es jedoch, die Entwicklung von Blutzellen seit den 1980er Jahren in ihrem natürlichen Kontext zu erforschen. Dieses als Lineage Tracing bezeichnete Verfahren wurde in den folgenden Jahrzehnten mit immer größerer Präzision angewandt – allerdings nur in Tierversuchen, denn es verbietet sich von selbst, Menschen mit künstlichen genetischen Markern auszustatten.
Im menschlichen Blut ist Lineage Tracing nur durch die Beobachtung natürlicher Mutationen in der DNA möglich, die nach einer Zellteilung in der einen Tochterzelle vorkommen, in der anderen aber nicht, und sich so nur in bestimmten Zellfamilien (Klonen) weiterverbreiten. In den 2010er Jahren wurde versucht, solchen Mutationen im gesamten Genom von Blutzellen auf die Spur zu kommen. Das ist aber angesichts der mehr als drei Milliarden „Buchstaben“ (Basenpaaren) unseres Genoms trotz modernster Methoden sehr teuer und fehleranfällig. Leif Ludwig verlegte sich daher auf den Nachweis natürlicher Mutationen in den Mitochondrien von Blutzellen. Diese Zellkraftwerke verfügen über ein eigenes, viel kleineres Genom von rund 16.600 Basenpaaren. Leif Ludwig verknüpfte deren Analyse mit den neuesten Einzelzell-Sequenzierungstechnologien (Single Cell-Omics) und konnte dadurch gleichzeitig Aussagen über den aktuellen Gesundheitszustand der untersuchten Zellen treffen. Inzwischen haben er und sein Team die von ihnen entwickelte Methode so verfeinert, dass sie in Knochenmarks- und Blutproben eines Patienten viele Zehntausende Zellen analysieren können.
Seit langem wird vermutet, dass hämopoetische Stammzellen keine einheitliche Quelle sind, sondern vielmehr einen heterogenen Pool bilden, aus dem bei der unaufhörlichen Bildung neuen Blutes verschiedene, sich vielfältig verzweigende Entwicklungsflüsse entspringen. Aus einer Stammzelle könnten etwa nur Thrombozyten entstehen, aus einer anderen alle möglichen Blutzellen. Die Verwandtschaftsverhältnisse in unserem Blut sind also sehr unübersichtlich. Leif Ludwigs Analyseverfahren erlaubt nun, sie besser zu entwirren, um zum Beispiel zu erkennen, an welcher Abzweigung eine Leukämiezelle oder eine degenerative Veränderung entsteht. Es eröffnet der Humanmedizin erstmals die Möglichkeit, solche Untersuchungen in Zukunft im klinischen Alltag vorzunehmen und daraus therapeutische Konsequenzen abzuleiten.
Dr. rer. nat. Dr. med. Leif Si-Hun Ludwig studierte seit 2003 zunächst Biochemie an der Freien Universität Berlin, dann Humanmedizin an der Charité Universitätsmedizin Berlin. Als Doktorand der Biochemie forschte er von 2011 bis 2015 am Whitehead Institute of Biomedical Research, als Post-Doc von 2016 bis 2020 am Broad Institute of MIT and Harvard, beide in Cambridge/USA. Seit November 2020 leitet er eine Emmy Noether-Forschungsgruppe am Berlin Institute of Health in der Charité und dem Berlin Institute for Medical Systems Biology (Max Delbrück Center).
Der Preis wird – zusammen mit dem Hauptpreis 2023 – am 14. März 2023 um 17 Uhr vom Vorsitzenden des Stiftungsrates der Paul Ehrlich-Stiftung in der Frankfurter Paulskirche verliehen.
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Die Zellanalyse ermöglicht es uns, Zellen in ihren vielfältigen Facetten zu erforschen und zu verstehen. Von der Einzelzellanalyse über die Durchflusszytometrie bis hin zur Bildgebungstechnologie – die Zellanalyse bietet uns wertvolle Einblicke in die Struktur, Funktion und Interaktion von Zellen. Ob in der Medizin, der biologischen Forschung oder der Pharmakologie – die Zellanalyse revolutioniert unser Verständnis von Krankheiten, Entwicklung und Behandlungsmöglichkeiten.
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