Neue Analysemethode für Nano- und Quantenmaterialien entwickelt

Mit Elektronenmikroskopie ultraschnelle Filme von Nano-Prozessen erstellen

27.02.2023 - Deutschland

Eine Zeitlupe im Sportfernsehen zeigt Abläufe in Hundertstel-Sekunden-Schritten. Vorgänge auf der Nanoskala laufen hingegen im sogenannten Femtosekunden-Bereich ab: Nur Milliardstel-Sekunden braucht zum Beispiel ein Elektron, um ein Wasserstoff-Atom zu umkreisen. Physikerinnen und Physiker weltweit forschen mit speziellen Instrumenten daran, solche ultraschnellen Nano-Prozesse in Filmen festzuhalten. Forschende der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) haben eine neue Methode für solche Filme entwickelt. Sie basiert auf einem anderen physikalischen Konzept als bisher und erlaubt damit weitere und präzisere Untersuchungsmöglichkeiten. Dafür kombinierten sie ein Elektronenmikroskop mit nanostrukturierten dünnen Metallschichten, die sehr kurze Lichtpulse erzeugen. So konnten sie in einem ersten Experiment kohärente Wechselwirkungen von Licht und Elektronen in einem Halbleiter filmisch dokumentieren. Ihre Ergebnisse erscheinen in der Fachzeitschrift Nature Physics.

© Masoud Taleb

Schematische Darstellung der neu entwickelten Methode für Filme mit dem Elektronenmikroskop ohne Laser: Oben trifft ein Elektron (rot) auf die siebartige Metallstruktur EDPHS („electron-driven photon source“) und erzeugt dort durch Anregung von Oberflächenplasmonen einen Lichtpuls (grün). Dieser trifft mit Lichtgeschwindigkeit auf die Halbleiterprobe und regt dort sogenannte Exzitonen an. Das Elektron trifft etwas später auf die Probe und erzeugt Kathodolumineszenz-Signale. Die Überlagerung („Interferenz“) der Strahlung der EDPHS-Lichtquelle und der durch die Probe angeregten Strahlung zeigt die kohärente Wechselwirkung von Elektronen und Photonen. Nachgewiesen wird sie durch die Projektion des Lichtmusters auf eine CCD-Kamera.

Einfachere und kostengünstigere Methode als bisher

Bisher wurden Filme von ultraschnellen Nano-Prozessen in der Regel mit Hochleistungslasern erzeugt, kombiniert mit Elektronenmikroskopen. Doch die großen und komplexen Aufbauten können sich nur wenige Forschungsgruppen leisten. „Unser Konzept für Elektronenmikroskope kommt ohne teure und komplizierte Laser aus und kann leicht nachgebaut werden“, sagt Nahid Talebi, Professorin für Experimentalphysik an der CAU.

In Elektronenmikroskopen werden Elektronen zu einem Strahl gebündelt, beschleunigt und auf eine Materialprobe gerichtet.Wie die Elektronen die Probe durchdringen oder von ihr reflektiert werden, lässt Rückschlüsse auf die Eigenschaften des Materials und die ablaufenden Prozesse im Inneren zu. „Elektronenmikroskope haben eine deutlich bessere räumliche Auflösung als optische Mikroskope und machen Untersuchungen im Nanometerbereich erst möglich“, erläutert Talebi. Mit den speziellen Bauteilen, die sie entwickelt hat, lässt sich auch die zeitliche Auflösung von Elektronenmikroskopen relativ einfach verbessern. So kann sie jetzt sogar ohne Laser ultraschnelle Nano-Prozesse auf der Femtosekunden-Zeitskala filmisch festhalten.

Mit ihrer aktuellen Publikation demonstriert Talebi nicht nur, dass ihre Methode funktioniert. Gemeinsam mit ihrem wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Masoud Taleb liefert sie auch den experimentellen Nachweis für kohärente Wechselwirkungen von Lichtteilchen (Photonen) und Elektronen in einem Halbleiter, die bisher nur theoretisch beschrieben worden waren. Das dafür genutzte Quantenmaterial Wolfram-Diselenid, WSe2, stammt aus einer Kooperation mit Professor Kai Rossnagel im Rahmen des Forschungsschwerpunkts KiNSIS (Kiel Nano, Surface and Interface Science) der CAU.

„Nanosieb“ erzeugt die benötigten kurzen Lichtpulse

Ein zentraler Baustein von Talebis Konzept ist ein spezielles „Nanosieb“, das sich in ein Elektronenmikroskop einsetzen lässt und dort wie eine Lichtquelle funktioniert. Trifft ein Elektronenstrahl darauf, erzeugt das Lochmuster zielgerichtete, kurze Lichtpulse, mit denen sich die schnellen Filme letztendlich erstellen lassen. Dafür bohrten die Forschenden in eine dünne Goldfolie winzige Löcher von 25 bis 200 Nanometern Durchmesser. Die Größe und Abstände hatte Talebi exakt berechnet, denn die Lichtpulse entstehen nur bei einem bestimmten Muster. Hergestellt wurden die „Nanosiebe“ in enger Zusammenarbeit mit Dr. Mario Hentschel aus der Arbeitsgruppe von Prof. Harald Giessen, Universität Stuttgart. Mit Kolleginnen und Kollegen aus Amsterdam hatte Talebi das Elektronenmikroskop vorher so umgebaut, dass es sogenannte Kathodolumineszenzen aufnehmen kann – Lichtsignale, die entstehen, wenn schnelle Elektronen auf Metall treffen.

Wechselwirkungen zwischen Elektronen und Photonen filmisch dokumentiert

In dem Experiment, das in der aktuellen Publikation beschrieben wird, treffen die kurzen Lichtpulse aus den siebartigen Nanostrukturen mit Lichtgeschwindigkeit auf die Wolfram-Diselenid-Probe. Dort regen sie Exzitonen an, sogenannte Quasiteilchen. Das sind Elektronen, die sich aus einem Atom gelöst haben, aber mit dem dort entstandenen Loch weiterhin in Verbindung stehen („Elektronen-Loch-Paare“). „Wenn kurze Zeit später auch der etwas langsamere Elektronenstrahl auf die Halbleiter-Probe trifft, können wir an der Reaktion der Elektronen ablesen, wie sich die Exzitonen in der Zwischenzeit verhalten haben“, erklärt Talebi. Aus der Überlagerung des Elektronenstrahls und der Lichtpulse entstehen Kathodolumineszenz-Signale, die eine kohärente Wechselwirkung zwischen Elektronen und Photonen zeigen.

Um diese Prozesse in einem Film festhalten zu können, setzten die Forschenden schließlich noch einen piezoelektrischen Kristall in den Mikroskopaufbau ein. Damit können sie den räumlichen Abstand zwischen der Lichtquelle und der Untersuchungsprobe präzise verändern und somit auch den zeitlichen Abstand, mit dem der Elektronenstrahl und die Lichtpulse auf die Probe treffen. „Wir können so zu verschiedenen Zeitpunkten des Prozesses Bilder aufnehmen und zu einem Film zusammensetzen“, fasst Talebi zusammen.

Langjährige Vorarbeiten

An einem Konzept für Femtosekunden-Filme mit dem Elektronenmikroskop, die keinen Laser benötigen, forschte Talebi schon als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart. Für ihr Vorhaben, Elektronenmikroskope mit Licht zu kombinieren und so ihre zeitliche Auflösung zu verbessern, erhielt die Theoretische und Experimentalphysikerin einen ERC-Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC) in Höhe von 1,5 Millionen Euro. Seit 2019 realisiert sie das Projekt in ihrer eigenen Arbeitsgruppe zur „Nano-Optik“ an der CAU. Das relativ junge Forschungsgebiet beschäftigt sich unter anderem mit den Wechselwirkungen von Licht und Materie im Nanobereich. Ein besseres Verständnis davon hat zum Beispiel bereits besonders effiziente Quanten-Lichtquellen ermöglicht, mit denen sich in optischen Schaltkreisen verschlüsselte Informationen sicher übertragen lassen.

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