Muskeln aus dem Labor
Das ist eine Verheissung für Patient:innen mit Muskelerkrankungen. Und für alle, die gerne Fleisch essen, aber keine Tiere töten möchten.
Foto: ETH Zürich / Bar-Nur Lab
Vorerst geht es in der Forschung des ETH-Teams aber darum, die Erzeugung von Muskel-Stammzellen zu optimieren und sie sicherer zu machen. Das ist ihnen nun in einem neuen Ansatz auch gelungen.
Umprogrammierte Zellen
Wie auch andere Forschende auf dem Gebiet nutzen die ETH-Wissenschaftler:innen als Ausgangsmaterial für die Muskelzellen einen anderen Zelltyp, der einfacher zu züchten ist: Bindegewebezellen. Mit einem Cocktail aus Wirkstoffen und Proteinen programmieren sie diese Zellen molekular um, so dass daraus Muskelzellen entstehen, die sich rasch vermehren und auch Muskelfasern bilden. «Dieses Vorgehen ermöglicht uns, grosse Mengen Muskelzellen herzustellen», erklärt Xhem Qabrati, Doktorand in Bar-Nurs Gruppe und einer der beiden Erstautoren dieser Studie. «Zwar könnte man diese Zellen auch direkt aus Muskelbiopsien kultivieren, allerdings verlieren die Zellen dabei oft ihre Funktionstüchtigkeit, und es ist daher schwierig, auf diese Weise grosse Mengen herzustellen.»
Ein wichtiger Bestandteil des verwendeten Cocktails und somit ein zentraler Auslöser der Zellumwandlung ist das Protein MyoD. Das ist ein sogenannter Transkriptionsfaktor, der im Zellkern die Aktivität von bestimmten Genen reguliert. In Bindegewebezellen ist normalerweise kein MyoD vorhanden. Damit Bindegewebezellen sich in Muskelzellen verwandeln können, müssen Wissenschaftler:innen sie dazu bringen, während mehrerer Tage in ihrem Zellkern MyoD zu produzieren.
Ohne Gentechnik
Bisher nutzten Forschende für diesen Vorgang die Gentechnik: Mit Viruspartikeln brachten sie die genetische Bauanleitung für das Protein MyoD in den Zellkern. Die Viren fügen diese Bauanleitung ins Genom ein, worauf die Zellen mit der Herstellung des Proteins beginnen können. Doch dieser Ansatz birgt ein Sicherheitsrisiko: Wissenschaftler:innen können nicht steuern, wo genau im Genom die Viren diese Bauanleitung einfügen. Mitunter setzen die Viren die Anleitung mitten in ein lebenswichtiges Gen und beschädigen es damit. Oder der Einbau führt zu Veränderungen, die Krebs auslösen können.
Bar-Nur und seine Kolleg:innen nutzten nun einen anderen Ansatz, um MyoD in die Bindegewebezellen zu bringen. Sie liessen sich dabei von den Covid-mRNA-Impfstoffen inspirieren: Anstatt die DNA-Bauanleitung von MyoD mit Viren in die Zellen einzuschleusen, bringen sie die mRNA-Abschrift dieser Bauanleitung in die Zellen. Das Genom der Zellen bleibt dabei unverändert, weshalb auch damit verbundene negative Folgen ausbleiben. Dennoch sind die Bindegewebezellen dank der mRNA in der Lage, das Protein MyoD herzustellen, so dass sie sich zusammen mit den anderen Komponenten des von den ETH-Forschenden optimierten Cocktails in Muskelstammzellen und -fasern verwandeln können.
Die Wissenschaftler:innen haben diesen Ansatz jüngst in der Fachzeitschrift externe SeiteNPJ Regenerative Medicinecall_made veröffentlicht. Vor ihnen ist es noch niemandem gelungen, Bindegewebezellen ohne die Verwendung von Gentechnik in Muskel-Stammzellen umzuprogrammieren.
Hilfe bei Muskelschwund
Die von den Forschenden hergestellten Muskelzellen sind auch voll funktionsfähig, wie sie in Versuchen mit Mäusen gezeigt haben, die an der Duchenne Muskeldystrophie litten. Bei Menschen ist das eine seltene Erbkrankheit. Bei Betroffenen fehlt ein für die Muskelstabilität notwendiges Protein, und es kommt zu fortschreitendem Muskelschwund und Lähmungen.
Die ETH-Wissenschaftler:innen injizierten Muskel-Stammzellen ohne diesen Defekt in den Muskel von Mäusen mit diesem Defekt. Sie konnten dabei zeigen, dass die gesunden Stammzellen im Muskel funktionstüchtige Muskelfasern bilden. «Eine solche Muskelstammzell-Transplantation könnte vor allem für Duchenne-Patient:innen in einem fortgeschrittenen Stadium interessant sein, die schon stark von Muskelschwund betroffen sind», erklärt Inseon Kim, ebenfalls eine Doktorandin in Bar-Nurs Gruppe und eine Erstautorin der Studie. Die Methode eigne sich, um genügend grosse Mengen dafür benötigter Muskel-Stammzellen herzustellen. Zumal sie ohne Gentechnik und den damit verbundenen Risiken auskommt, was für den therapeutischen Einsatz bei Menschen wünschenswert ist.
Alternatives Fleisch
Allerdings müssen die Forschenden ihren Ansatz nun erst noch auf menschliche Zellen übertragen. «Ausserdem möchten wir untersuchen, ob sich Bindegewebezellen direkt im Körper in Muskelzellen verwandeln lassen, indem wir die MyoD-mRNA und die weiteren Cocktail-Komponenten Mäusen injizieren, die von einer Muskelkrankheit betroffen sind», sagt ETH-Professor Bar-Nur. Auch dies könnte dereinst vielleicht betroffenen Menschen helfen.
Schliesslich möchten Bar-Nur und sein Team die neuen Erkenntnisse auch in ihre Arbeit mit Rinder-Zellen einfliessen lassen. Dies ist ein weiteres Standbein ihrer Forschung. Die Methode könnte auch die Kultivierung von tierischen Muskel-Stammzellen als alternative Herstellungsmethode für Fleisch weiterbringen.