Bahnbrechende Entdeckung in der Herzmuskelforschung
Erstes 3D-Bild des dicken Filaments des Herzmuskels gelungen: Besseres Verständnis der Funktionsweise von gesunden und kranken Muskeln
MPI of Molecular Physiology
Vorhofflimmern, Herzinsuffizienz und Schlaganfall - die hypertrophe Kardiomyopathie kann zu vielen schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden führen und ist eine der Hauptursachen für den plötzlichen Herztod bei unter 35-Jährigen. "Das Herz ist ein zentraler Motor des menschlichen Körpers. Natürlich ist es einfacher, einen kaputten Motor zu reparieren, wenn man weiß, wie er aufgebaut ist und wie er funktioniert", sagt Stefan Raunser. "Zu Beginn unserer Muskelforschung ist es uns gelungen, die Struktur der wesentlichen Muskelbausteine und deren Zusammenspiel mittels Elektronen-Kryomikroskopie sichtbar zu machen. Dabei handelte es sich jedoch um statische Bilder von Proteinen, die aus der lebenden Zelle entnommen wurden. Sie sagen nur wenig darüber aus, wie das hochvariable, dynamische Zusammenspiel der Muskelbausteine den Muskel in seiner natürlichen Umgebung bewegt", sagt Raunser.
Durch Dick und Dünn
Skelett- und Herzmuskel ziehen sich zusammen, wenn zwei Arten paralleler Proteinfilamente im Sarkomer zusammenwirken: dünne und dicke. Das Sarkomer ist in mehrere Bereiche unterteilt, die als Zonen und Bänder bezeichnet werden. In diesen sind die Filamente unterschiedlich angeordnet. Das dünne Filament besteht aus F-Aktin, Troponin, Tropomyosin und Nebulin. Das dicke Filament wird aus Myosin, Titin und dem Myosin-bindenden Protein C (MyBP-C) gebildet. Letzteres kann Verbindungen zwischen den Filamenten herstellen, während Myosin, das sogenannte Motorprotein, mit dem dünnen Filament interagiert und so Kraft und die Muskelkontraktion erzeugt. Veränderungen in den Proteinen des dicken Filaments werden mit Muskelkrankheiten in Verbindung gebracht. Ein detailliertes Bild des dicken Filaments wäre von immenser Bedeutung für die Entwicklung von Therapiestrategien zur Heilung dieser Krankheiten. Allerdings konnte ein solches Bild bisher nicht gemacht werden.
Meilensteine in der Muskelforschung
"Wenn man die Funktionsweise des Muskels auf molekularer Ebene vollständig verstehen will, muss man seine Bestandteile in ihrer natürlichen Umgebung abbilden - eine der größten Herausforderungen in der biologischen Forschung heutzutage, die mit herkömmlichen experimentellen Ansätzen nicht zu bewältigen ist", sagt Raunser. Um diese Hürde zu überwinden, entwickelte sein Team einen Arbeitsablauf für die Kryoelektronentomographie, der speziell auf die Untersuchung von Muskelproben zugeschnitten ist: Die Forschenden schockgefrieren Herzmuskelproben von Säugetieren aus dem Labor von Mathias Gautel in London bei -175 °C. Dadurch bleiben Hydratation und Feinstruktur – also der ursprüngliche Zustand der Muskelzellen - erhalten. Anschließend werden die Proben mit einem fokussierten Ionenstrahl (FIB-Fräsen) auf eine ideale Dicke von etwa 100 Nanometern ausgedünnt. Im Transmissionselektronenmikroskop werden dann mehrere Bilder aufgenommen, während die Probe entlang einer Achse gekippt wird. Schließlich rekonstruieren computergestützte Methoden ein dreidimensionales Bild mit hoher Auflösung. Mit diesem maßgeschneiderten Arbeitsablauf konnte Raunsers Gruppe in den letzten Jahren zwei bahnbrechende Studien veröffentlichen: Sie produzierten die ersten hochaufgelösten Bilder des Sarkomers und eines bis dahin nebulösen Muskelproteins namens Nebulin. Beide Studien liefern bisher unerreichte Einblicke in die 3D-Organisation von Muskelproteinen im Sarkomer: Sie zeigen wie Myosin an Aktin bindet, um die Muskelkontraktion zu steuern, und wie Nebulin an Aktin bindet, um es zu stabilisieren und seine Länge zu bestimmen.
Das Bild fertigstellen
In ihrer aktuellen Studie erstellten die Forschenden das erste hochaufgelöste Bild des kardialen dicken Filaments, das sich über mehrere Regionen im Sarkomer erstreckt. "Mit 500 nm Länge ist dies die längste und größte Struktur, die jemals mittels Kryo-ET aufgelöst wurde", sagt Davide Tamborrini vom MPI Dortmund, Erstautor der Studie. Noch beeindruckender sind die neu gewonnenen Erkenntnisse über die molekulare Organisation des dicken Filaments und damit über dessen Funktion. Die Anordnung der Myosinmoleküle ist abhängig von ihrer Position im Filament. Die Forschenden vermuten, dass das dicke Filament dadurch in der Lage ist, zahlreiche muskelregulierende Signale wahrzunehmen und zu verarbeiten. So könnte die Stärke der Muskelkontraktion in Abhängigkeit von der Region im Sarkomer reguliert werden. Sie zeigten auch, wie Titinketten entlang des Filaments verlaufen. Diese verflechten sich mit Myosin, fungieren als Gerüst für dessen Zusammenbau und orchestrieren wahrscheinlich eine längenabhängige Aktivierung des Sarkomers.
"Unser Ziel ist es, eines Tages ein vollständiges Bild des Sarkomers zu zeichnen. Das Bild des dicken Filaments in dieser Studie ist 'nur' eine Momentaufnahme im entspannten Zustand des Muskels. Um vollständig zu verstehen, wie das Sarkomer funktioniert und wie es reguliert wird, wollen wir es in verschiedenen Zuständen, z. B. während der Kontraktion, untersuchen", schaut Raunser in die Zukunft. Der Vergleich gesunder Proben mit denen von Patienten mit Muskelerkrankungen wird letztendlich zu einem besseren Verständnis von Krankheiten wie der hypertrophen Kardiomyopathie und zur Entwicklung innovativer Therapien beitragen.