Wie man 400 Jahre alt wird

Genom des langlebigsten Wirbeltiers entschlüsselt: Es ist riesig und verfügt über besondere Reparaturmöglichkeiten

12.09.2024
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Symbolbild

Mit einer geschätzten Lebenserwartung von etwa 400 Jahren ist der Grönlandhai (Somniosus microcephalus) das langlebigste Wirbeltier der Welt. Ein internationales Forschungsteam hat nun das Genom dieses seltenen Bewohners der Tiefen des nördlichen Atlantiks und des Arktischen Ozeans entschlüsselt. „Die Analyse der Daten legt nahe, dass eine verbesserte DNA-Reparatur eine wichtige Rolle für seine extreme Langlebigkeit spielen könnte“, sagt Prof. Dr. Arne Sahm, Fakultät für Biologie und Biotechnologie an der Ruhr-Universität Bochum und Erstautor der Arbeit, die am 11. September 2024 auf der Plattform bioRxiv veröffentlicht wurde. Die Arbeit des Teams zur Entschlüsselung des Erbgutes soll dabei helfen, neues Licht auf die allgemeinen Mechanismen der Langlebigkeit zu werfen.

Ein riesiges Genom

Nur wenige komplexe Tiere können den Menschen überleben, zum Beispiel Riesenschildkröten wie Jonathan, ein 191-jähriges Exemplar, das derzeit auf St. Helena lebt. Doch diese Rekorde verblassen im Vergleich zum Grönlandhai.

Eine der ersten Herausforderungen des Projekts war die schiere Größe des Hai-Genoms. Mit 6,5 Milliarden Basenpaaren ist der genetische Code des Grönlandhais doppelt so lang wie der des Menschen und das umfangreichste aller zurzeit bekannten Hai-Genome. „Bisher wurden nur wenige Tiere sequenziert, die ein noch größeres Genom aufweisen“, sagt Arne Sahm und verweist dabei auf den Axolotl und kürzlich veröffentlichte Genomstudien zum Lungenfisch. Ebenso wie bei diesen Tieren ist die enorme Größe des Grönlandhai-Genoms in erster Linie auf das Vorhandensein repetitiver und sich häufig selbst replizierender Elemente zurückzuführen. Solche sogenannten transponierbaren Elemente, manchmal auch als springende Gene bezeichnet, machen über 70 Prozent des Grönlandhai-Genoms aus. „Das ist erstaunlich, da ein hoher Anteil transponierbarer Elemente zumeist als schädlich angesehen wird“, sagt Arne Sahm. Tatsächlich können springende Gene die Integrität anderer Gene zerstören und die Gesamtstabilität des Genoms verringern. Im Fall des Grönlandhais scheint der hohe Anteil springender Gene die Lebensdauer der Art aber nicht begrenzt zu haben.

Gekaperte springende Gene

Im Gegenteil: Sahm und das Team vermuten, dass die Aktivität transponierbarer Elemente sogar zur extremen Langlebigkeit des Grönlandhais beigetragen haben könnte. Grund dafür könnte sein, dass auch andere Gene die Maschinerie transponierbarer Elemente gekapert haben, um sich zu vervielfältigen. Das Team vermutet, dass während der Evolution des Grönlandhais mehrere Gene diese Gelegenheit ergriffen haben. Häufig waren das solche Gene, die auch an der Reparatur von DNA-Schäden beteiligt sind. „In jeder unserer Zellen wird die DNA täglich tausende Male beschädigt, und spezialisierte molekulare Mechanismen reparieren sie ständig“, erklärt Alessandro Cellerino, Neurobiologe am FLI und der Scuola Normale Superiore (SNS) in Pisa. Ein Ergebnis vergleichender Genomstudien ist, dass langlebige Säugetierarten ihre DNA sehr effizient reparieren können. Die Ergebnisse des Teams sind also ein weiterer Hinweis darauf, dass die DNA-Reparatur ein allgemeiner Mechanismus sein könnte, der der Evolution außergewöhnlicher Langlebigkeit zugrunde liegt.

„Unter Umständen hat die Evolution des Grönlandhais einen Weg gefunden, die negativen Auswirkungen transponierbarer Elemente auf die DNA-Stabilität auszugleichen – indem sie die Maschinerie der transponierbaren Elemente selbst gekapert hat“, so Arne Sahm. Die Forschenden möchten auch mehr über die Mechanismen erfahren, die die Verbreitung transponierbarer Elemente steuern. „Wir können nun damit beginnen, die Frage zu beantworten, ob die Stilllegung transponierbarer Elemente bei Grönlandhaien anders funktioniert als bei anderen Arten“, sagt Helene Kretzmer vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin.

Verändertes Kontrollzentrum

Das Team fand daneben eine spezifische Veränderung im Protein p53 – auch bekannt als „Wächter des Genoms“. Viele Studien zeigen, dass p53 als Kontrollzentrum fungiert, das auf DNA-Schäden sowohl im Menschen als auch bei vielen anderen Arten reagiert. „Dieses Protein ist bei etwa der Hälfte aller menschlichen Krebserkrankungen mutiert und ist der wichtigste Tumorsuppressor, den wir kennen. Daher ist es ein essenzielles Gen für Langlebigkeit“, sagt Steve Hoffmann, Bioinformatiker am Fritz-Lipmann-Instituts für Alternsforschung (FLI) in Jena. Es sind jedoch weitere Studien erforderlich, um zu zeigen, inwieweit die beobachteten Veränderungen in kritischen Genen – wie p53 und molekularen Signalwegen, etwa Vervielfältigungen von DNA-Reparaturgenen oder Veränderungen in Tumorsuppressoren – zur außergewöhnlichen Langlebigkeit des Grönlandhais beitragen.

Start frei für weitere Studien

„Unser Genomprojekt bietet nun eine Grundlage für viele unabhängige Studien, die uns helfen werden, die Evolution dieser bemerkenswerten Art besser zu verstehen“, unterstreicht Paolo Domenici vom CNR – IBF, Pisa. „Dies ist einer der Gründe, warum wir beschlossen haben, das Genom der wissenschaftlichen Gemeinschaft sofort zur Verfügung zu stellen“, fügt Alessandro Cellerino hinzu. Die Genomsequenz und die entsprechenden Webressourcen, die das Team nun veröffentlicht hat, ermöglichen es Forschenden weltweit, die Gene zu analysieren, die sie interessieren. „Diese Arbeit ist ein Meilenstein für ein besseres Verständnis der Grundlagen der außergewöhnlichen Physiologie des Grönlandhais. Darüber hinaus hilft sie uns, erstmals seine genomische Vielfalt und damit die Populationsgröße dieser gefährdeten Art einzuschätzen“, so John Fleng Steffensen von der Universität Kopenhagen, der diese Tiere seit 15 Jahren in ihrer natürlichen Lebensumgebung erforscht.

Langlebigkeit besser verstehen

„Die Entschlüsselung des Genoms des Grönlandhais ist ein entscheidender Schritt zum Verständnis der molekularen Mechanismen des extrem langsamen Alterns dieser außergewöhnlichen Art“, sagt Steve Hoffmann. Die Forscher erwarten, dass die Studie über den Grönlandhai auch für viele andere Organismen von entscheidender Bedeutung sein kann. „Die Erforschung der genetischen Grundlagen des großen Spektrums von Lebensspannen im Tierreich ermöglicht es uns auch, die allgemeinen Mechanismen der Langlebigkeit besser zu verstehen“, erklärt Alessandro Cellerino.

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