Das Rätsel der Aluminiumoxid-Oberfläche

Forschende lüften nach jahrzehntelanger Suche das Geheimnis um die Oberflächenstruktur von Aluminiumoxid

18.09.2024
TU Wien

von links: Jan Balajka, Andrea Conti, Ulrike Diebold, Johanna Irina Hütner, Michael Schmid, David Kugler

Aluminiumoxid (Al2O3), auch bekannt als Korund, Saphir oder Rubin, wird in einer Vielzahl von Anwendungen eingesetzt: als Isolator in elektronischen Bauteilen, als Trägermaterial für Katalysatoren oder als chemisch inerte Keramik, um nur einige Beispiele zu nennen. Um zu verstehen, wie chemische Reaktionen auf diesem Material ablaufen – etwa bei katalytischen Prozessen – muss die Anordnung der Oberflächenatome bekannt sein. Im Inneren des Materials folgen die Atome einer festen Ordnung. So ergeben sich die charakteristischen Formen von Kristallen. An der Oberfläche weicht die Struktur jedoch von der im Inneren des Kristalls ab. Forschende der Technischen Universität Wien und der Universität Wien haben nun das Rätsel um die komplexe Struktur der Al2O3-Oberfläche gelöst, eine Aufgabe, die bereits 1997 als eines der „drei Rätsel der Oberflächenwissenschaft“ gelistet wurde. Die Forschungsgruppe um Jan Balajka und Ulrike Diebold veröffentlichte ihre Ergebnisse kürzlich in der Fachzeitschrift Science.

Hochauflösende Mikroskopie identifiziert Oberflächenatome

Zur Analyse der Oberflächenstruktur setzte das Forschungsteam Rasterkraftmikroskopie ein. Bei dieser Methode wird die Oberfläche mit einer scharfen Spitze, die auf einer Stimmgabel aus Quarz montiert ist, in geringem Abstand abgetastet. Die Frequenz der Stimmgabel ändert sich, wenn die Spitze mit den Atomen auf der Oberfläche wechselwirkt, ohne das Material zu berühren. Damit erhält man ein Bild der Oberfläche. Johanna Hütner, die die Experimente durchgeführt hat, erklärt: „In einem Topografie-Bild kann man die Position der Atome erkennen, aber nicht ihre chemische Identität. Durch Modifizieren der Spitze konnten wir chemische Sensitivität erreichen. Ein einzelnes Sauerstoffatom wurde ganz am Ende der Spitze angebracht, wodurch wir zwischen Sauerstoff- und Aluminiumatomen an der Oberfläche unterscheiden konnten. Das Sauerstoffatom an der Spitze wird von anderen Sauerstoffatomen an der Oberfläche abgestoßen und von den Aluminiumatomen der Al2O3-Oberfläche angezogen. Diese lokale Abstoßung oder Anziehung ermöglichte es, die chemische Identität der einzelnen Oberflächenatome zusammen mit deren Position direkt darzustellen.“

Umstrukturierung stabilisiert die Oberfläche, ohne ihre Zusammensetzung zu verändern

Die Forschenden fanden heraus, dass sich die Oberfläche so umstrukturiert, dass die Aluminiumatome die Oberfläche durchdringen und chemische Bindungen mit den Sauerstoffatomen in den tieferliegenden Schichten eingehen können. Durch diese Umordnung der ersten beiden Atomschichten wird die Energie erheblich reduziert und die Struktur stabilisiert, während das Zahlenverhältnis von Aluminium- zu Sauerstoffatomen unverändert bleibt.

Das 3D-Modell der Aluminiumoxidoberfläche wurde mit Methoden des maschinellen Lernens optimiert. Die größte Herausforderung war herauszufinden, wie die Oberfläche mit dem darunter liegenden Kristall verbunden ist. „Die Struktur ist sehr komplex, was zu einer Vielzahl von Möglichkeiten führt, wie die experimentell nicht zugänglichen Atome unter der Oberfläche angeordnet sein könnten. Modernste Algorithmen des maschinellen Lernens in Kombination mit konventionellen Berechnungsmethoden ermöglichten es uns, zahlreiche Möglichkeiten zu untersuchen und die dreidimensionale Struktur der Aluminiumoxidoberfläche zu bestimmen“, erklärt Andrea Conti, der die Modellierung durchführte.

„Durch die Zusammenarbeit von experimenteller und rechnergestützter Forschung haben wir nicht nur das langjährige Rätsel um die atomare Struktur des Isolators gelöst, sondern auch Prinzipien für die Strukturbildung entdeckt, die für eine ganze Klasse von Materialien gelten. Unsere Ergebnisse ebnen den Weg für Fortschritte in der Katalyse, der Materialwissenschaft und anderen Bereichen“, sagt Jan Balajka, der die Forschung leitete.

Teile des Setups, in das das kontaktlose Rasterkraftmikroskop eingebettet ist, wurden zudem als Patent angemeldet.

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