Bluttest auf sogenannte MicroRNAs kann Demenz erkennen

Deutsch-amerikanisches Forschungsteam zeigt neue Diagnosemöglichkeit für Alzheimer auf

23.09.2024
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Symbolbild

Eine Alzheimer-Demenz und auch ihre Vorstufe lassen sich durch Messung sogenannter MicroRNAs im Blut erkennen. Darüber berichten Forschende des DZNE in Göttingen – gemeinsam mit US-amerikanischen Fachleuten der Boston University und der Indiana University School of Medicine – im Wissenschaftsjournal Alzheimer’s & Dementia: The Journal of the Alzheimer’s Association. Ihre Einschätzung beruht auf Daten von rund 800 Erwachsenen, die an einer Langzeitstudie über die Alzheimer’sche Erkrankung teilnehmen. Das angewandte Verfahren ist noch nicht bereit für die klinische Routine, doch die aktuellen Ergebnisse könnten den Weg für bessere Früherkennung bereiten.

Alzheimer ist eine bislang unheilbare Hirnerkrankung, die sich langfristig zu einer Demenz entwickelt. Die Diagnose erfolgt in der Regel auf der Grundlage neuropsychologischer Tests, die das Gedächtnis und andere geistige Fähigkeiten auf die Probe stellen und bei Auffälligkeiten idealerweise durch Untersuchungen des Gehirns und der Rückenmarksflüssigkeit ergänzt werden. Die aktuellen Befunde des deutsch-amerikanischen Forschungsverbundes zeigen nun das Potenzial für einen neuartigen Bluttest.

Bedarf nach Frühdiagnose

„Wir brauchen nicht nur bessere Therapien zur Behandlung von Alzheimer, sondern auch neue Ansätze, um diese Erkrankung zu erkennen – und zwar frühzeitig, wenn Symptome einer Demenz, wie Gedächtnisstörungen, zwar noch nicht auftreten, sich die Krankheit aber bereits im Verborgenen entwickelt“, so André Fischer, Forschungsgruppenleiter am DZNE-Standort Göttingen und Professor für Epigenetik neurodegenerativer Erkrankungen in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG). „Wir haben herausgefunden, dass dies über eine Messung von MicroRNAs im Blut möglich ist. Frühere Ergebnisse deuteten bereits darauf hin, nun konnten wir sie an einem großen Studienkollektiv bestätigen. Unsere Untersuchungen zeigen insbesondere, dass man anhand von MicroRNAs nicht nur eine Alzheimer-Demenz erkennen kann, sondern auch solche Menschen, die kognitiv nur leicht beeinträchtigt sind, aber ein hohes Risiko haben, innerhalb der nächsten zwei Jahre eine Demenz tatsächlich zu entwickeln.“

Moleküle mit Steuerfunktion

MicroRNAs sind Moleküle mit regulierender Wirkung: Sie beeinflussen die Herstellung von Proteinen und damit zentrale Abläufe des Stoffwechsels. „Wir arbeiten bereits an einem vereinfachten Testverfahren, um die Messung von MicroRNAs auch in der klinischen Praxis anwenden zu können. Ein solcher Bluttest wäre eine sinnvolle Ergänzung zu bestehenden Diagnosemethoden“, sagt Fischer. „Der menschliche Organismus produziert tausende unterschiedliche MicroRNAs. Wir haben festgestellt, dass bestimmte davon, es sind knapp 20, für unsere Zwecke entscheidend sind. Aus dem Gesamtmuster ihrer Konzentrationen haben wir mit Hilfe von Machine Learning, also künstlicher Intelligenz, eine Art molekularen Fingerabdruck erstellt. Anhand dieser Signatur konnten wir Menschen mit Alzheimer-Demenz und auch solche mit hohem Demenzrisiko identifizieren.“

Internationale Zusammenarbeit

Die aktuellen Ergebnisse beruhen auf Daten von Erwachsenen aus den USA und Kanada, die an der sogenannten Alzheimer’s Disease Neuroimaging Initiative (ADNI) teilnehmen. ADNI läuft seit 20 Jahren und ist eine der weltweit größten Langzeitstudien über die Alzheimer’sche Erkrankung. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden über Jahre hinweg regelmäßig untersucht und auch Blutproben für spätere Untersuchungen aufbewahrt. „Im Laufe der Zeit ist ein großer Schatz an Daten entstanden. MicroRNAs hatte man bisher aber nicht erfasst. Deshalb haben uns Kolleginnen und Kollegen aus den USA angesprochen, da wir am DZNE über die erforderliche Technologie und Erfahrung verfügen. Die National Institutes of Health haben das Projekt unterstützt“, so Fischer. „Wir haben dann bereits vorliegende Diagnosen aus ADNI mit den von uns ermittelten Signaturen von MicroRNAs abgeglichen. Dabei hat sich herausgestellt, dass die MicroRNAs für die Diagnose von Demenz und Früherkennung geeignet sind.“

Korrelation mit konventionellen Indikatoren

Außerdem zeigte sich, dass die MicroRNAs auch Anomalien in etablierten Biomarkern für Alzheimer widerspiegeln. Konkret gilt dies für den Verlust von Gehirnvolumen sowie für die Konzentration sogenannter Amyloid- und Tau-Proteine. „Das verdeutlicht, dass ein vergleichsweise einfacher Bluttest auf MicroRNAs ähnliche Aussagekraft hat wie herkömmliche Biomarker, die aufwändig über Hirnscans und Analysen der Rückenmarksflüssigkeit bestimmt werden müssen. Ein solcher Bluttest könnte helfen, teure und oft unangenehme Untersuchungen zu vermeiden“, so Fischer.

Wachsendes Interesse an RNA

MicroRNAs zählen zur Großfamilie der „nicht-codierenden“ RNAs. Die Baupläne für diese Moleküle sind im Erbgut hinterlegt, dienen jedoch nicht der Herstellung von Proteinen. „Tatsächlich werden rund 70 Prozent der menschlichen DNA in nicht-codierende RNAs umgesetzt. Lange Zeit hielt man diese RNAs für wenig relevant. Inzwischen hat man erkannt, dass sie den Stoffwechsel in vielfältiger Weise beeinflussen. In der Pharmaforschung sieht man sie inzwischen als mögliche Ansatzpunkte für Medikamente“, sagt Fischer. „Jenseits der aktuellen Untersuchungen mit unseren Partnern aus den USA erforschen wir solche RNAs daher auch im Laborstudien, um ihre Wirkungsweisen aufzuklären. Und wir untersuchen sie auch im Rahmen von Demenzstudien des DZNE und in Populationsstudien, die sich mit der Gesundheit in der Breite der Bevölkerung befassen. Das ist ein Thema, das uns weiter beschäftigen dürfte.“

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