Qualitätsstandards für den Blick ins Tumorerbgut

Erst Buchstabensalat, dann ein Buch

24.09.2024
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Symbolbild

Die personalisierte Medizin mit individuell maßgeschneiderten Therapien wird bei Krebserkrankungen mehr und mehr Realität. Dazu benötigt es einen genauen Blick in das Erbgut der Tumoren, ein molekulardiagnostisches Tumorprofil. Eine Forschergruppe aus dem Deutschen Netzwerk für Personalisierte Medizin (DNPM) hat bundesweit erfasst, nach welchen Qualitätsstandards die Genomanalysen in Deutschland durchgeführt werden. Die Daten sind Voraussetzung, um die sogenannte Gensequenzierung in die Routineversorgung zu integrieren. Federführend war die Arbeitsgruppe um Professor Albrecht Stenzinger von der Medizinischen Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg und dem Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD).

Kaum ein anderes medizinisches Fachgebiet verändert sich fortlaufend so schnell wie die Krebsmedizin. Das betrifft Erkenntnisse über Tumorerkrankungen ebenso wie die Entwicklung neuer Therapien. Dabei hat sich die Forschung in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr auf die molekularbiologische Ebene verlagert. Zunehmend werden genetische Besonderheiten von Tumoren entschlüsselt, die zum Teil als Angriffspunkte für zielgerichtete Therapien geeignet sind. Die Zukunftsvision ist, für jeden individuellen Tumor ein molekularbiologisches Profil zu erstellen, an dem man das Therapiekonzept ausrichten kann.

Erst Buchstabensalat, dann ein Buch

Es ist heute möglich, einzelne Gene, eine Auswahl von Genen oder auch das gesamte genetische Material eines Menschen „auszulesen“. Gensequenzierung, Panelsequenzierung, Exom- und Genomsequenzierung sind die Fachbegriffe. Das Erbgut – die DNA (Desoxyribonukleinsäure) – ist verschlüsselte Information, die nur wenige Buchstaben nutzt. Molekularpathologen wie Prof. Dr. Albrecht Stenzinger, Leiter der Studie und Leiter des Molekularpathologischen Zentrums am Pathologischen Institut des UKHD, können diesen Code immer besser lesen und verstehen. Dazu wird die Tumorprobe zunächst aufbereitet, mitsamt genetischer Information in ihre Bausteine zerlegt und diese analysiert. Den daraus resultierenden „Buchstabensalat“ ordnen und strukturieren Bioinformatikerinnen und Bioinformatiker mit Hilfe leistungsfähiger Computer. So entsteht ein lesbares Buch, das die genetischen Informationen des jeweiligen Patienten, genauer gesagt seines Tumors enthält.

Unerlässlich ist dabei ein qualitätsgesichertes Vorgehen. Nur so lässt sich garantieren, dass die Sequenzierung ein und derselben Probe in zwei verschiedenen Instituten zu einem identischen Ergebnis und damit auch zur passenden Therapie führt. Mit welcher Methode das Erbgut sequenziert wird, und wie gut das Ergebnis der Analyse ist, wurde in Deutschland bislang aber noch nicht systematisch erfasst. Zumindest nicht, was die Sequenzierung eines besonders relevanten Anteils des Genoms, des sogenannten Exoms, betrifft. Als Exom bezeichnet man sämtliche Abschnitte der Erbinformation, die Baupläne (Codes) für Proteine enthalten. Das Gesamtgenom ist sehr viel umfangreicher.

Deutschlandweiter Testlauf

Für ihre Bestandsaufnahme ließen die Forschenden daher sechs Tumorproben sowie vier bereits bekannte Referenzproben an insgesamt 21 über ganz Deutschland verteilte universitären Krebszentren untersuchen. „An den Universitätskliniken wird die große Mehrzahl aller Sequenzanalysen durchgeführt. Wir haben also auf diese Weise einen guten Überblick über die Qualität der Tumorsequenzierung in Deutschland erhalten“, sagt Professor Stenzinger.

Es zeigte sich bei den Testergebnissen zwar eine hohe, aber keine vollständige Übereinstimmung zwischen den Ergebnissen aus verschiedenen Instituten. Die Forschungsgruppe will daher im nächsten Schritt Standards erarbeiten, mit denen sich die Qualität der Exomsequenzierung optimieren lässt. Ein Ansatzpunkt ist das Filtern der zahlreichen genetischen Abweichungen, die sich in den individuellen Tumorproben finden. Sie müssen mit Hilfe großer Datenbanken auf ihre Relevanz hin überprüft werden. „Die meisten Abweichungen sind ohne weitere Bedeutung, manche treiben jedoch das Tumorwachstum voran oder verleihen den Krebszellen besondere Widerstandskraft und sind daher lohnende Therapieziele. Wenn wir die Filterkriterien stärker vereinheitlichen, können wir die Übereinstimmung der Testergebnisse auf nahezu 100 Prozent steigern“, so Dr. Michael Menzel, Erstautor des Artikels und Bioinformatiker am Pathologischen Institut des UKHD.

Personalisierte Medizin ist Teamwork

Vor Kurzem ist das vom Bundegesundheitsministerium angestoßene Modellprojekt „genomDE“ angelaufen, das die umfassende Sequenzierung probeweise in der Regelversorgung verankern soll. Gleichzeitig sollen auf diesem Weg Daten erhoben werden, die der zukünftigen Krebsforschung zugutekommen. Wissensgenerierende Versorgung nennt man das. Die Kosten der Gensequenzierungen werden von den Krankenkassen getragen. Nach fünf Jahren soll überprüft werden, ob der Nutzen den Aufwand rechtfertigt. Wenn ja, soll die Gensequenzierung langfristig in die Regelversorgung integriert werden.

Jedoch nur im interdisziplinären Team mit breitgefächerter Expertise ist eine qualitätsgesicherte personalisierte Medizin möglich, wie Prof. Stenzinger betont. Die Heidelberger Arbeitsgruppe ist Teil des bundesweiten Netzwerks für Personalisierte Medizin (DNPM) mit einer Reihe zertifizierter Zentren, die Vorreiter sein sollen und erfolgreich interdisziplinär zusammenarbeiten.

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