Wie stark ist die schwache Kraft?
PSI/F. Reiser
Die schwache Kraft ist eine der vier Grundkräfte der Natur. Obwohl wir in unserem Alltag kaum Vorgängen begegnen, die durch die schwache Kraft bestimmt werden, ist sie doch von wesentlicher Bedeutung. So ist sie etwa für die Vorgänge verantwortlich, die die Sonne scheinen lassen. Nun hat ein internationales Forschungsteam unter Leitung von Forschenden der University of Illinois, der Boston University und der University of Kentucky (alle USA) am Paul Scherrer Institut Experimente durchgeführt, dank denen ein Parameter, der für die Stärke der schwachen Wechselwirkung – wie die schwache Kraft auch genannt wird - von entscheidender Bedeutung ist, mit einzigartiger Genauigkeit bestimmt werden konnte. Dieser als Fermi-Konstante bekannte Parameter ist eine der fundamentalen Naturkonstanten, die für die exakte Berechnung von Vorgängen in der Welt der kleinsten Teilchen nötig sind.
Einer der wesentlichen Erfolge beim Verständnis der subatomaren Welt war in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts bestand darin, dass Physiker gezeigt haben, dass die schwache und die elektromagnetische Wechselwirkung – eine weitere der vier Grundkräfte – eigentlich zwei Aspekte einer einzelnen Wechselwirkung sind. Diese wird als elektroschwache Wechselwirkung bezeichnet und deren Stärke wird durch insgesamt drei Parameter festgelegt – einer davon ist die Fermi-Konstante.
Lebensdauer des Myons – Schlüssel zur Stärke der schwachen Kraft
Der neue Wert der Fermi-Konstante wurde durch eine hochpräzise Bestimmung der Lebensdauer des Myons – die genaueste Messung einer Lebensdauer in der Welt der Atome und Elementarteilchen – ermöglicht. Das Myon ist ein instabiles Elementarteilchen, das mit einer Lebensdauer von rund 2 Mikrosekunden (Millionstelsekunden) zerfällt. Dieser Zerfall wird alleine von der schwachen Kraft bestimmt und es gibt einen recht einfachen Zusammenhang zwischen der Lebensdauer des Myons und der Stärke der schwachen Kraft. „Die Bestimmung der Fermi-Konstante aus der Myonen-Lebensdauer setzt eine elegante und präzise Theorie voraus; aber bis 1999 war die Theorie nicht so gut wie die Experimente.“ erkärt David Hertzog, der zur Zeit der Messungen Forscher an der University of Illinois war und jetzt an der University of Washington arbeitet „seither haben mehrere Durchbrüche praktisch alle theoretischen Unklarheiten beseitigt. Die grösste Unsicherheit bei der Bestimmung der Fermi-Konstante hing nun davon ab, wie genau man die Lebensdauer des Myons gemessen hatte.“
Messung 100 Milliarden Mal wiederholt – Messgenauigkeit: 2 Millionstel einer Millionstelsekunde
Das MuLan-Experiment (Muon Lifetime Analysis) nutzte Myonen, die an der Beschleunigeranlage des Paul Scherrer Instituts in Villigen (Schweiz) erzeugt wurden – der stärksten Myonenquelle weltweit und dem einzigen Ort, an dem so präzise Experimente durchgeführt werden können. „Das Herzstück des Experiments waren spezielle Targets – Auffangscheiben –, in denen immer wieder Gruppen von ankommenden positiven Myonen gestoppt wurden.“ erklärt Bernhard Lauss vom PSI das Prinzip des Experiments „Der Strahl wurde dann jeweils rasch abgeschaltet, wobei rund 20 Myonen im Target steckenblieben. Mit der Zeit zerfiel jedes dieser Myonen und sandte dabei als Zeichen seines Zerfalls ein schnelles Positron – ein positiv geladenes Elektron – aus.“ Die Positronen wurden von 170 Detektoren nachgewiesen, die das Target in Form eines riesigen Fussballs umgaben. Robert Carey von der Universität Boston fügt hinzu: „Wir haben den Vorgang für 100 Milliarden Myonenpakete wiederholt, dabei Billionen von einzelnen Zerfällen beobachtet und 100 Terabyte an Daten gesammelt, die für die spätere Auswertung im Supercomputer des amerikanischen Nationalen Hochleistungsrechenzentrums (NCSA) in Illinois gespeichert wurden. Aus diesen Daten wurde die Verteilung der Lebenszeiten der einzelnen Myonen erstellt und daraus die mittlere Lebensdauer bestimmt, für die sich der Wert 2.1969803 ± 0.0000022 Mikrosekunden ergab. Die Unsicherheit dieses Ergebnisses beträgt 2 Millionstel einer Millionstelsekunde – das ist ein wahrer Weltrekord.“
Originalveröffentlichung
Measurement of the Positive Muon Lifetime and Determination of the Fermi Constant to Part-per-Million Precision D.M.Webber et al. (MuLan Collaboration), Physical Review Letters (zur Veröffentlichung angenommen)