Mit elektrischen Feldern Magnetismus steuern

RUB-Forscher ermöglichen hochpräzise Messung mit Röntgenstreuung

25.08.2011 - Deutschland

Ein internationales Forscherteam aus Frankreich und Deutschland hat ein neues Material entwickelt, das erstmals auch bei Raumtemperatur magnetisch auf elektrische Felder reagiert. Bisher war dies überhaupt nur bei sehr tiefen, nicht praktikablen Temperaturen möglich. Elektrische Felder sind technisch viel einfacher und billiger herzustellen als magnetische Felder, für die man stromfressende Spulen benötigt. Die Forscher haben nun einen Weg gefunden, Magnetismus durch elektrische Felder schon bei „normaler“ Temperatur zu steuern, und verwirklichen damit einen Traum. Möglich waren die hochpräzisen Experimente in einer von der Ruhr-Universität Bochum gebauten Messkammer am Berliner Helmholtz-Zentrum. Über ihre Ergebnisse berichtet die Forschergruppe aus Paris und Berlin unter Beteiligung von Wissenschaftlern der RUB in „Nature Materials“.

Ruhr-Universität Bochum

Prinzip des Probenaufbaus: oben die ferromagnetische Fe-Schicht, unten die ferroelektrische Ba-Ti-O Schicht, und dazwischen die multiferroische Schicht. Die drei Schichten sind durch ihre jeweiligen Hysteresen charakterisiert, d.h. ihre Zustandsänderung durch Einwirkung eines äußeren elektrischen Feldes (E) oder magnetischen Feldes (H): die Fe-Schicht durch eine ferromagnetische Hysterese, die Ba-Ti-O Schicht durch eine ferroelektrische Hysterese, und die multiferroische Zwischenschicht, die in gleicher Weise auf elektrische Felder und magnetische Felder reagiert. Der rote Pfeil deutet die Richtung des einfallenden Synchrotronstrahls an, der wahlweise rechts oder links zirkular polarisiert ist.

ALICE im Wunderland

Die „multiferroische“ Eigenschaft des neuen Materials nachzuweisen, gelang in der Messkammer ALICE – so benannt, weil sie wie „Alice im Wunderland“ hinter die Dinge schauen kann. Dabei wird ein bestimmter Bereich von Röntgenstrahlung genutzt, um magnetische Nanostrukturen zu untersuchen. Die von Bochumer Physikern entwickelte Messkammer, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, ist seit 2007 erfolgreich im Einsatz am Elektronenspeicherring BESSY II in Berlin. Mit den jetzt entdeckten Materialeigenschaften von BaTiO3 (Barium-Titan-Oxid) lassen sich zukünftig Bauelemente wie Datenspeicher und logische Schalter entwerfen, die mit elektrischen anstatt mit magnetischen Feldern kontrollierbar sind.

Ferromagnetische und ferroelektrische Eigenschaften

Ferromagnetische Materialien wie Eisen können durch magnetische Felder beeinflusst werden. Im Magnetfeld sind alle atomaren magnetischen Dipole ausgerichtet. In ferroelektrischen Materialien ersetzen elektrische Dipole – das sind zwei getrennte und entgegengesetzte Ladungen – die magnetischen Dipole, so dass man sie in einem elektrischen Feld ausrichten kann. In ganz seltenen Fällen reagieren so genannte multiferroische Materialien auf beide Felder – magnetische und elektrische.

Multiferroisch bei Raumtemperatur

Ein solch multiferroisches Material stellten die Forscher her, indem sie ultradünne ferromagnetische Eisenschichten auf ferroelektrische Barium-Titan-Oxid-Schichten aufdampften. Dabei konnten sie feststellen, dass das sonst nicht magnetische ferroelektrische Material an der Grenzfläche zwischen den beiden Schichten ferromagnetisch wird. Damit haben die Forscher das weltweit erste multiferroische Material entwickelt, das bereits bei Raumtemperatur sowohl auf magnetische wie auf elektrische Felder reagiert.

Magnetische Röntgenstreuung wirft Licht auf neuen Steuermechanismus

Diesen Grenzflächenmagnetismus wiesen die Wissenschaftler mit Hilfe der spektroskopischen Methode „magnetischer Röntgendichroismus“ nach. Dabei wird die Polarisation der Röntgenstrahlen durch Magnetismus beeinflusst – ähnlich dem bekannten „Faraday-Effekt“ aus der Optik. Der magnetische Röntgendichroismus hat den Vorteil, dass er auf jedes einzelne Element in dem untersuchten Material angewandt werden kann. Mit dieser Methode konnte das Forscherteam zeigen, dass alle drei Elemente in dem ferroelektrischen Material – Barium, Sauerstoff und Titan – an der Grenzfläche zu Eisen ferromagnetisch reagieren, obwohl diese Atome sonst nicht magnetisch sind.

Eine äußerst raffinierte Methode

„Die Methode des magnetischen Röntgendichroismus ist hoch komplex“, sagt Prof. Dr. Hartmut Zabel, Lehrstuhl für Experimentalphysik der RUB. Die Messkammer ALICE vereinigt Röntgenstreuung mit Röntgen-Spektroskopie. „Das ist eine äußerst raffinierte und sehr empfindliche Methode“, so Prof. Zabel. „Die hohe Präzision der Detektoren sowie aller Goniometer in der Kammer führte zum Erfolg der Experimente des internationalen Messteams.“

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