Aus eins mach zwei - erstes deutsches Genom bis auf den Grund entschlüsselt

Max-Planck-Forscher analysieren erstmalig beide Chromosomensätze des menschlichen Genoms voneinander getrennt

13.09.2011 - Deutschland

Jeder Mensch bekommt von Mutter und Vater ein eigenes Genom vererbt, daher kommt jedes seiner 22 Chromosomen (Autosomen) einschließlich der darauf vorhandenen Gene doppelt vor. Davon ausgenommen sind nur die beiden Geschlechtschromosomen (23. Chromosomen­paar). Die beiden Fassungen, in denen jedes Gen vorliegt, können identisch sein oder sich voneinander unterscheiden; die Unterschiede werden als so genannte Haplotypen dargestellt. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik in Berlin haben jetzt erstmalig ein menschliches Genom nahezu vollständig in seine molekularen Haplotypen zerlegt und die beiden Einzelgenome entschlüsselt. In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Genome Research beschreiben Margret Hoehe und ihre Kollegen, dass sie dabei mehr als 99 Prozent aller Basenunterschiede (SNPs), insgesamt mehr als 3 Millionen SNPs, in ihren konkreten Kombinationen jeweils einer der beiden Versionen jedes Chromosoms zugeordnet haben. Es handelt sich um das erste deutsche Genom überhaupt, das komplett entschlüsselt und zugleich in bisher nicht erreichter Gründlichkeit analysiert wurde.

Die bis heute angewandten Sequenziertechnologien sind nicht in der Lage, beide Fassungen eines Chromosoms getrennt auszulesen. Stattdessen liefern sie dem Betrachter einen „Cocktail“ aus beiden Chromosomenversionen. Die Wissenschaftler mussten eine neue Methode entwickeln, um die unterschiedlichen Abfolgen der Gen-Buchstaben für beide Versionen der Chromosomen getrennt voneinander bestimmen zu können. „Die Biologie des Genoms muss endlich auf seine zwei Beine gestellt werden, wie die Natur es vorgegeben hat“, sagt die Leiterin der Arbeitsgruppe Margret Hoehe. „Es wird immer nur von dem Genom gesprochen. Für die Entwicklung einer personalisierten Medizin ist es jedoch unverzichtbar, beide Chromosomensätze eines Individuums gesondert zu betrachten, da sie sich hinsichtlich ihres genetischen Codes und damit auch ihrer kodierten Funktionen unterscheiden können.“

Die in Berlin durchgeführte umfassende systematische Analyse der Haplotypen eines mensch­lichen Erbguts ist eine Premiere. Mit der im Rahmen des Nationalen Genomforschungsnetzes geförderten Arbeit ist es Hoehe und ihrem Team gelungen, fast alle der 17.861 autosomalen Protein-kodierenden Gene des Genoms eines 51-jährigen männlichen Deutschen getrennt für seine beiden Chromosomenausgaben zu entschlüsseln. Die Ergebnisse zeigten, dass 90 Prozent der vorhandenen Gene zwei unterschiedliche molekulare Formen haben. „Die beiden Chromosomensätze unseres persönlichen Genoms unterscheiden sich insgesamt an rund 2 Millionen Stellen. Anstatt wie bisher ein Genom als Mischprodukt auszulesen, muss künftig jeder der beiden Haplotypen für sich alleine bestimmt werden, um den naturgegebenen biologischen Vorgaben gerecht zu werden“, so Hoehe.

Den Wissenschaftlern ist es erstmals auch gelungen, ein Genom in seiner molekularen Individualität zu erfassen. So kommen 60 bis 75 Prozent, also die Mehrzahl der Gene, in ihren charakteristischen molekularen Formen so offenbar nur in dem jetzt untersuchten Menschen vor. „Unsere Ergebnisse zeigen sehr deutlich, dass die Biologie von Genen und Genomen eine starke individuelle Komponente hat“, erklärt Hoehe. Diese Erkenntnis ist besonders wichtig für die Entwicklung individueller Therapien für jeden einzelnen Patienten, denn „für eine wirklich funktionierende personalisierte Medizin müssen wir beide Haplotypen eines Menschen kennen, weil beide über dessen Gesundheit oder Krankheit entscheiden“, sagt Hoehe. Ein gutes Beispiel dafür sei das BRCA1-Gen, das in mutierter Form für Brustkrebs anfällig mache. So trägt das untersuchte Genom des 51-jährigen Probanden zwei Mutationen in diesem Brustkrebs-Gen – glücklicherweise in derselben Genkopie. Die Kopie auf dem anderen Chromosom ist unverändert. Das Genom besitzt also trotz dieser zwei Mutationen eine gesunde Version des Gens. „Das Wissen, ob Mutationen beide Haplotypen betreffen, ist essenziell, um künftig das Krankheitsrisiko eines Patienten wirklich beurteilen zu können“, so Hoehe. Insgesamt identifizierten die Wissenschaftler in ihrem Probanden 159 mutierte Gene mit krankheitsförderndem Potenzial, die die Funktion von Proteinen beeinträchtigen können. In 86 dieser Gene befinden sich die Mutationen in derselben Genkopie.

Für die Zukunft erwachsen aus den Erkenntnissen der Max-Planck-Wissenschaftler neue und grundlegende Fragen: Wie verhalten sich die beiden unterschiedlichen molekularen Formen eines Genes zueinander? Arbeiten sie zusammen oder gegeneinander? Welche der beiden Genformen ist dominant und warum? Denn nur wenn eine Form des Gens ihr Gegenstück überstimmt, kann sie einen Menschen auch wirklich krank machen. „Deshalb ist die Unterscheidung der Haplotypen essenziell, um zukünftig die Entstehung von Krankheiten verstehen und auch behandeln zu können“, sagt Hoehe.

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