„Live“ beobachtet: Wasser ist aktiver Mitspieler von Enzymen
Wasser wirkt als „Kleber“ in biologischen Enzym-Substrat-Verbindungen
Ruhr-Universität Bochum
Welche Rolle spielt das Lösungsmittel?
Enzyme sind natürliche Substanzen, die Stoffwechselvorgänge im Körper beschleunigen und steuern. Sie sind z.B. von zentraler Bedeutung für das Immunsystem, da sie das Gleichgewicht zwischen aktivierenden und hemmenden Abwehrreaktionen steuern und bei Entzündungsreaktionen eine große Rolle spielen. Es war seit langem bekannt, dass enzymatische Funktionen in unterschiedlichen Lösungsmitteln mit sehr verschiedener Geschwindigkeit ablaufen. Bisher ist aber der Beitrag des Lösungsmittels – bei biologischen Prozessen ist das Wasser – auf molekularer Ebene noch ungeklärt.
Zwei neue Techniken kombiniert
Die Gruppen von Prof. Havenith und von Prof. Sagi am Institut für Strukturbiologie des Weizmann Institutes haben zwei neu entwickelte experimentelle Techniken kombiniert, um die Bedeutung des Wassers für enzymatische Funktionen direkt nachzuweisen. Gegenstand der Untersuchung waren Matrix-Metalloproteasen (MMP). Sie befinden sich außerhalb unserer Zellen in der so genannten extrazellulären Matrix und erfüllen dort auf molekularer Ebene zentrale Aufgaben als Nachrichtenvermittler, Manager oder Wartungseinheiten. Durch den Abbau der extrazellulären Matrix sind die MMP aktiv und unmittelbar am Umbau unseres Gewebes beteiligt, etwa beim Embryo- oder Tumorwachstum und bei der Wundheilung. Die zahlreichen möglichen Einsatzgebiete machen diese Enzymfamilie zu einem Ansatzpunkt für die Medikamentenentwicklung. „Der Mechanismus zur Aktivierung der Matrix-Metalloproteasen ist allerdings auf molekularer Ebene bisher nur unzureichend bekannt, was einen synthetischen Nachbau erschwert“, so Prof. Havenith.
Genaue Analyse aller „Mitspieler“
Für das genaue Verständnis des Aktivierungsprozesses haben sich die Forscher erstmals in einer umfassenden Analyse alle beteiligten „Mitspieler“ vorgenommen: die Matrix-Metalloprotease als “Enzym-Vehikel“, sein aktivierendes Substrat – das “Schlüsselmolekül“ – und das Wasser als Lösungsmittel, das den Großteil der Reaktionsumgebung einnimmt. Im Experiment untersuchten die Wissenschaftler die Bindung des Substrats an das MMP. Mit Hilfe von zeitaufgelöster Röntgenspektroskopie konnten sie die strukturellen Änderungen in der Nähe des aktiven Enzymzentrums (hier: des Zink-Atoms) mit atomarer Auflösung charakterisieren. Mit Hilfe der kinetischen THz-Absorptionsspektroskopie (KITA) zeichneten sie parallel die zeitlichen Änderungen der schnellen Wasserbewegungen auf.
Wasser bei der Medikamentenentwicklung berücksichtigen
Bei unterschiedlichen MMP-Protein-Kombinationen zeigte sich eine eindeutige Korrelation zwischen den Fluktuationen des Wassernetzwerks, den strukturellen Änderungen und der Funktion. Molekular-Dynamik-Simulationen lieferten eine Erklärung für die Beobachtungen: Solange das Substrat noch nicht an der „richtigen Stelle“ des Enzyms angekommen ist, ist die Wasserdynamik, d.h. der Partnerwechsel bei den Wassermolekülen (der „Terahertz-Tanz“ des Wassers) noch schnell. Zeitgleich mit dem Andocken des Substrats an das aktive Zentrum wird die Wasserbewegung in der Umgebung deutlich verlangsamt. Das Wasser wirkt dort wie eine Art zähflüssiger Kleber, der das Substrat an dieser Stelle festhält. Diese Änderung des THz-Tanzes des Wassers mit der Ausbildung der Enzym-Substrat Bindung wird ausschließlich bei biologisch aktiven Enzym-Substrat-Kombinationen beobachtet. „Die erstmals untersuchte Verlangsamung der Wasserdynamik scheint daher ein essentieller Teil der Funktionssteuerung zu sein“, so Prof. Havenith. „Es wird daher in Zukunft entscheidend sein, die Rolle des Wassers bei der Entwicklung von Medikamenten zum Beispiel für die Tumorbekämpfung mit zu berücksichtigen.“
„Solvation Science@RUB“
Diese Arbeiten sind integriert in den Schwerpunkt „Solvation Science@RUB“, der Thematik des vom Wissenschaftsrat zur Förderung empfohlenen Forschungsbaus ZEMOS, aus der auch der Exzellenzclusterantrag RESOLV der RUB hervorgeht. In der Chemie, Verfahrenstechnik und in der Biologie gibt es eine immense Anzahl von Publikationen, die Lösungsmittel als inerte (passive) Medien für molekulare Prozesse beschreiben. Jenseits dieser traditionellen Sichtweise wird aber die aktive Rolle des Lösungsmittels immer deutlicher sichtbar. Neue experimentelle und theoretische Methoden erlauben jetzt die Erforschung, Beschreibung und systematische Beeinflussung der Struktur, Dynamik und Kinetik komplexer Solvatationsphänomene auf molekularer Ebene. „Es ist daher an der Zeit, ein einheitliches Modell mit Vorhersagekraft für Solvatationsprozesse zu entwickeln“, so Prof. Havenith. Genau das ist das Ziel von „Solvation Science@RUB“.
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