So tötet die Biowaffe Rizin
Rätsel gelöst mit neuer, revolutionärer Technologie
Im August dieses Jahres gingen Horrormeldungen durch die Presse: Die Terrororganisation Al Kaida plante offenbar Bomben mit dem Gift Rizin zu bauen und bei Anschlägen in Einkaufszentren, Flughäfen oder U-Bahn-Stationen einzusetzen. Rizin als biologischer Kampfstoff hat seit dem ersten Weltkrieg grausame Tradition. Es gilt als eines der stärksten Pflanzengifte der Welt, bereits kleinste Mengen sind tödlich. Gelangt das Gift ins Blut des Opfers, führt es nach zwei bis drei Tagen zum Tod.
Wirkung des Pflanzengifts Rizin aufgeklärt
Noch gibt es kein Gegengift. Jetzt aber konnte Ulrich Elling, Wissenschaftler in der Gruppe von Josef Penninger am Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie der ÖAW, das Eiweißmolekül „Gpr107“ identifizieren. Dieses Protein in den Zellen des Opfers ist essenziell für die tödliche Wirkung von Rizin oder anders gesagt: Zellen, die Gpr107 nicht besitzen, sind immun gegen das Gift. Elling ist optimistisch: “Nach unseren Erkenntnissen könnte man rasch ein Gegengift entwickeln, indem man etwa ein sogenanntes „small molecule“ bastelt, welches das Protein Gpf107 gezielt blockiert.“
Neue Technologie ermöglicht Screening des gesamten Säugergenoms
Wonach andere seit Jahrzehnten fieberhaft gesucht hatten, fanden die IMBA Forscher in wenigen Wochen. Diesen raschen Erfolg ermöglichte eine neue Methode in der Genetik, die Ulrich Elling und Josef Penninger maßgeblich mitentwickelt haben. Sie erlaubt erstmals, das komplette Säugetiergenom in einem sinnvollen Zeitrahmen auf Mutationen zu screenen. Bisher konzentrierte man sich bei Säugetieren, wie Mäusen, auf eine einzelne Mutation. Man verwendete RNA-Interferenz oder züchtete die passende Knock-out Maus, um die Auswirkungen zu studieren. Während RNA-Interferenz nicht in allen Fällen funktioniert, dauert die Züchtung einer Knock-out Maus zwei Jahre und ist sehr arbeitsaufwändig.
Für Josef Penninger ist die neue Technologie daher eine Revolution in der Biomedizin: „Wir haben es geschafft, Hefegenetik, bei der aufgrund des einfachen Chromosomensatzes sofort eine Gen-Mutation möglich ist, mit Stammzellbiologie zu verbinden. Ewig suchen wir Forscher schon nach so einem System!“
Millionen Gen-Mutationen können die Wissenschaftler nun gleichzeitig in kurzer Zeit nachstellen und ihre Auswirkungen erforschen. Genau das tat auch Ulrich Elling, als er die Giftwirkung von Rizin entschlüsselte: Er testete das Gift an vielen tausend verschiedenen Mutationen in Maus-Stammzellen und stellte fest, dass alleine 49 verschiedene genetischen Mutationen in einem einzigen Protein vorhanden waren: Gpr107. Eine Mutation in diesem Protein sicherte offensichtlich den Zellen das Überleben.
Kombination mit Stammzellforschung bringt breites Anwendungsspektrum
Das unglaubliche Potenzial der neuen Methode wird noch deutlicher, wenn man sich vor Augen hält, dass Stammzellen die Fähigkeit haben, sich in jede beliebige Körperzelle zu verwandeln. Josef Penninger ist begeistert: „Es gibt unendlich viele mögliche Anwendungen! Das beginnt bei grundlegenden Fragen, zum Beispiel ‚welche Gene sind für die Funktion einer Herzmuskelzelle überhaupt notwendig?‘ Oder man stellt angewandte Fragen, wie wir im Fall der Giftwirkung von Rizin.“
Die nächsten Projekte, an denen Penningers Team bereits konkret arbeitet: Wie entwickeln sich Resistenzen gegen Chemotherapien?, ein Schlüsselthema in der Krebsforschung – und: Wie können sich Nervenzellen bei einer Querschnittslähmung regenerieren?
Originalveröffentlichung
Elling et al.; „Forward and Reverse Genetics through Derivation of Haploid Mouse Embryonic Stem Cells”; Cell Stem Cell 2011
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Elling et al.; „Forward and Reverse Genetics through Derivation of Haploid Mouse Embryonic Stem Cells”; Cell Stem Cell 2011
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