Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung an einzelnen Neuronen zu sehen
Christine Grienberger / TUM
Neben den bekannten verheerenden Auswirkungen auf Gedächtnis und Lernfähigkeit kann die Alzheimer-Erkrankung auch zu Störungen im Geruchssinn und im Sehvermögen führen. Diese Wahrnehmungsveränderungen treten typischerweise nur in fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung auf. In einer aktuellen Studie wird nun detailliert beleuchtet, welche Prozesse im Verlauf der Krankheitsentstehung auftreten und welche Bereiche im Kortex des Gehirns dabei für die Verarbeitung von visuellen Informationen verantwortlich sind. Ein Team unter der Leitung von Prof. Arthur Konnerth, einem Carl von Linde Senior Fellow des TUM Institute for Advanced Study, konnte diese mit der Alzheimer-Erkrankung einhergehenden Veränderungen im visuellen Kortex auf der Ebene einzelner Zellen beobachten.
Mit einer speziellen Mikroskopiertechnik, der Zwei-Photonen-Fluoreszenzmikroskopie, konnten die Forscher sowohl die spontane als auch eine durch äußere Reize induzierte Signalaktivität einzelner Neuronen bei lebenden Mäusen messen. Die Versuchstiere waren transgene Mäuse mit Mutationen, die bei Menschen für die Entstehung der Alzheimer-Erkrankung verantwortlich sind, dazu eine Kontrollgruppe von nicht veränderten Wildtyp-Mäusen. Mit Hilfe eines Sehtests, bei dem ein einfaches Gittermuster aus einzelnen hellen und dunklen Balken vor den Augen der Mäuse bewegt wird, konnten die Forscher zeigen, wie einzelne Nervenverschaltungen in der Sehrinde je nach Orientierung und Richtung dieser Bewegungen aktiviert werden.
Prof. Konnerth erklärt diesen Mechanismus so: „Wie auch viele Alzheimer-Patienten haben diese erkrankten Mäuse Schwierigkeiten, einzelne Objekte in ihrem Blickfeld voneinander zu unterscheiden. Wir konnten einzelne Bewegungsneuronen in der Sehrinde identifizieren, deren Funktionalität stark eingeschränkt ist. Unsere Ergebnisse geben somit wichtige Einblicke in die möglichen Ursachen dieser Störung.“ Die Forscher fanden zwei Subgruppen von Bewegungsneuronen, deren Aktivität in ganz unterschiedlicher Art und Weise verändert war. Eine Subgruppe von Neuronen, die wohl am frühesten von degenerativen Prozessen betroffen ist, zeigte in diesem Sehtest keinerlei Aktivität, während die zweite Gruppe von Neuronen eine pathologisch erhöhte Aktivität zeigte, wodurch die Bewegungsneuronen die Objekte im Blickfeld der Mäuse nicht mehr korrekt wahrnehmen konnten. „Während etwa die Hälfte der Neuronen in der Sehrinde auf die eine oder andere Art verändert war, zeigte die andere Hälfte weiterhin eine normale Funktionalität“, erklärt Christine Grienberger, Doktorandin in der Arbeitsgruppe Konnerth und Erstautorin dieser Publikation. „Diese Beobachtungen könnten für die weitere Forschung im Bereich der Alzheimer-Erkrankung eine große Rolle spielen, da sie die Frage aufwerfen, ob wir uns für künftige Untersuchungen allein auf diese Population von Neuronen mit einer Funktionsstörung konzentrieren sollten.“
Die In-vivo-Experimente auf der Ebene einzelner Neuronen wurden mit Versuchstieren in drei verschiedenen Altersgruppen durchgeführt, die den einzelnen Stadien dieser fortschreitenden neurodegenerativen Erkrankung entsprechen. Die Ergebnisse wurden mit anderen Beobachtungen verglichen, etwa den gemessenen Werten an löslichem Beta-Amyloid und auch der Dichte von Amyloid-Plaques im Gehirn. Die Forscher zeigen hier zum ersten Mal, dass auf neuronaler Ebene im Kortex ein fortschreitender Verlust an Funktionalität beobachtet werden kann. Prof. Konnerth erläutert die Bedeutung dieser Ergebnisse: „Eine wichtige Erkenntnis dieser Studie ist, dass die im Zusammenhang mit der Alzheimer-Erkrankung beobachteten Veränderungen auf allen Ebenen gleichzeitig in einer klaren zeitlichen Abfolge auftreten – im Verhalten genauso wie in Form von neuronalen Funktionsstörungen oder sichtbar anhand der Dichte an Amyloid-Plaques im erkrankten Gehirn. In Zukunft könnte der Nachweis solcher Veränderungen in der Differentialdiagnostik helfen, um bei den betroffenen Patienten eine für dieses Krankheitsstadium passende Therapie einzusetzen und damit Nebenwirkungen der Behandlung zu verringern.“
Diese Forschungsarbeiten wurden unterstützt durch die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder (TUM-IAS, CIPISM), durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG, IRTG 1373); ERAnet und durch die Friedrich-Schiedel-Stiftung.
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