Wenn Moleküle morsen
Das Geräusch, das aus dem Kopfhörer von Johannes Schaffert kommt, klingt wie einst das Rauschen eines Fernsehers nach Sendeschluss. Tatsächlich aber können Schaffert und seine Kollegen aus der Arbeitsgruppe des Experimentalphysikers Prof. Dr. Rolf Möller hieraus konkrete Informationen über das Verhalten einzelner Moleküle ziehen. Dafür nutzte das Team ein Rastertunnelmikroskop (RTM): Es funktioniert, indem eine winzige Nadel, deren Spitze aus nur wenigen Atomen besteht, Zeile für Zeile die Oberfläche einer Probe abtastet und dabei – je nach deren Beschaffenheit – verschieden große Tunnelströme misst. Diesen Wert nutzen Forscher, um den Abstand zwischen Nadel und Probe zu bestimmen und daraus ein Relief der Oberfläche zu erstellen.
Auf diese Weise haben die Forscher einzelne Moleküle des blauen Farbpigments Kupferphthalocyanin auf einer Kupferoberfläche analysiert. Dabei stellten sie fest, dass der Messwert an manchen Stellen des Moleküls nicht konstant blieb, sondern hin- und hersprang. Diese Sprünge kann man tatsächlich als Rauschen im Mess-Signal hörbar machen. Obwohl die Moleküle vermeintlich fest an der Oberfläche gebunden waren, musste doch irgendeine Bewegung stattfinden. „In der Wissenschaft wird oft behauptet, im Rauschen läge keine Information“, erläutert Möller. „Das ist so nicht richtig, sie ist hier nur subtiler enthalten.“ Bisher mussten die Forscher, die sich hierfür interessierten, noch manuell auswerten. Das Team um Schaffert hingegen entwickelte eine Elektronik, die parallel zur normalen Oberflächenmessung ebenfalls sämtliche Parameter des Rauschens erfasst: Schaltrate, Schaltamplitude und Taktverhältnis. „Das erfasst für uns in einem einzigen Messschritt neben der klassischen Oberflächentopographie, wie schnell der Strom springt, wie groß die Sprünge sind und wie lange der Strom auf dem jeweiligen Niveau bleibt“, berichtet Schaffert. „Die Moleküle morsen uns die Informationen zu.“
Übertragen auf die Vorgänge in der molekularen Ebene bedeutet das: Die Forscher können in Echtzeit nachvollziehen, wie sich das Molekül bewegt. Gemeinsam mit Kollegen des Centre d’Investigació en Nanociència i Nanotecnologia in Barcelona und des Institut des Sciences Moléculaires d’Orsay in Paris berechneten sie, dass sich das Molekül auf ihrer Probe bei jedem Sprung im Strom um sieben Grad um seine eigene Achse dreht.
Besonders für die noch in den Anfängen steckende Molekularelektronik sind die neue Messmethode sowie die Erkenntnisse, die sie verspricht, von ungeheurer Bedeutung: Diese Zukunftstechnologie nutzt einzelne bewegliche Atome oder Moleküle als winzige Schalter, um zum Beispiel einen elektrischen Kontakt herzustellen oder zu trennen. Da das vom Team um Schaffert entwickelte Verfahren problemlos auf andere Moleküle und Atome zu übertragen ist, lässt sich auch deren Bewegungen nun mit höchster Auflösung nachvollziehen. So haben die CENIDE-Forscher der eigentlich langsamen RTM-Technologie eine zeitaufgelöste Variante hinzugefügt, die mehrere Tausend Bewegungen pro Sekunde analysieren kann.
Auch anderen Arbeitsgruppen will Möller diese Technologie nun zugänglich machen: „Interessierte Forscher können uns einfach ansprechen. Wir geben gerne Starthilfe.“
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