Röntgenanalyse weist Weg zu besseren Solarzellen, Supraleitern und Festplatten
Illustration: Michael Rübhausen, Universität Hamburg
"Grenzflächen sind zurzeit ein zentrales Thema in der Materialforschung", erläutert Rusydi. "Wenn zwei unterschiedliche Materialien zusammengebracht werden, können ganz neue Eigenschaften entstehen. So können beispielsweise zwei nicht-magnetische und elektrisch isolierende Materialien an ihrer Grenzfläche metallisch und magnetisch werden." Grund für diesen Charakterwechsel der Materialien ist die gebrochene Symmetrie an ihrer Grenzfläche, wie Rübhausen erklärt, der Professor an der Universität Hamburg ist. "Die beiden Materialien haben verschiedene Eigenschaften und Strukturen. Wenn man sie in Kontakt bringt, müssen sie sich miteinander arrangieren, und das führt zu neuen Eigenschaften."
Dieses Phänomen lässt sich beispielsweise ausnutzen, um kleinere Festplatten zu entwerfen. "Gewöhnlich steuern die Volumen-Eigenschaften des Materials die Eigenschaften von Festplatten, für eine weitere Miniaturisierung möchten wir ihre physikalischen Eigenschaften gerne über die Grenzflächenstruktur kontrollieren", sagt Rusydi. "Allerdings verstehen wir noch nicht vollständig, was an der Grenzfläche passiert." Als Beispiel hat die Gruppe die Grenzfläche der beiden Übergangsmetalloxide Strontiumtitanat (SrTiO3) und Lanthanaluminat (LaAlO3) untersucht. Die beiden Isolatoren bilden eine elektrisch leitende Grenzschicht. "Basierend auf Maxwells Theorie sollten wir allerdings eine zehnfach höhere Leitfähigkeit beobachten", betont Rusydi. "90 Prozent der Ladungsträger, der Elektronen, scheinen verschollen. Das war uns bislang ein völliges Rätsel."
Auf der Suche nach den "verschollenen" Elektronen haben die Wissenschaftler die Grenzregion der beiden Materialien mit DESYs heller Forschungslichtquelle DORIS III ausgeleuchtet und dafür Licht aus einem breiteren Ultraviolett-Energiebereich benutzt als jede Untersuchung zuvor. "Alle Elektronen in dem Material sind wie kleine Antennen", erläutert Rusydi. "Je nach ihrem eigenen energetischen Zustand sprechen sie auf elektromagnetische Strahlung bestimmter Wellenlängen an." Wird vom eingestrahlten Synchrotronlicht bei einer bestimmten Wellenlänge etwas absorbiert, verrät dies den Forschern den energetischen Zustand der korrespondierenden Elektronen und damit ihr Versteck im Kristallgitter.
Die Untersuchung zeigt, dass nur ein Teil der erwarteten Elektronen tatsächlich zur Grenzregion wandert, um eine leitende Schicht zu formen. Die meisten Elektronen verteilen sich in Untereinheiten des Lanthanaluminats um, wo sie bisherigen Techniken in früheren Untersuchungen verborgen blieben.
Außerdem beobachteten die Wissenschaftler, dass der Transfer von Elektronen aus dem Kristallgitter zur Grenzschicht von der Zahl der sogenannten Elementarzellen des Lanthanaluminats in dem untersuchten Kristall abhängt. Als Elementarzelle bezeichnen Festkörperphysiker die kleinste Einheit eines Kristalls, der sich damit als geordnete Aneinanderreihung vieler identischer Elementarzellen beschreiben lässt. Ist die Lanthanaluminat-Schicht dünner als drei Elementarzellen, verteilen sich sämtliche Elektronen neu innerhalb der Lanthanaluminat-Untereinheiten, kein Elektron wandert zur Grenzfläche mit dem Strontiumtitanat, die damit ein elektrischer Isolator bleibt.
Dies erklärt, warum Materialschichten in der Regel deutlich dicker als eine Elementarzelle sein müssen, damit sich Grenzflächen-Phänomene voll ausbilden. "Wenn nur ein Teil der Elektronen zur Grenzfläche wandert, ist ein größeres Volumen nötig, um die Brechung der Symmetrie an der Oberfläche zu kompensieren", erläutert Rusydi. Dank ihrer Arbeit können die Forscher das Verhalten dieser speziellen und anderer Grenzflächen nun besser verstehen.
"Im Prinzip kann unsere Untersuchungstechnik für jede Art Grenzfläche benutzt werden", betont Rübhausen. "Wir haben gerade erst angefangen, die grundlegenden Eigenschaften von Grenzflächen damit zu untersuchen." Weitere Untersuchungen müssen allerdings warten, bis die sogenannte Superlumi-Messstation, die für diese Arbeit benutzt wurde, von der inzwischen abgeschalteten Lichtquelle DORIS III an die DESY-Lichtquelle PETRA III transferiert worden ist. "Im Moment gibt es keine Anlage weltweit, die dieses messen kann", unterstreicht Rübhausen.
Mit einem besseren Verständnis der Grenzflächen lassen sich deren Eigenschaften besser steuern, erwarten die Forscher. "Wenn wir lernen, wie wir die Grenzflächen kontrollieren, können wir völlig neue Eigenschaften konstruieren", sagt Rübhausen.