Einblicke in verborgene Proteinzustände
Neuentwickelte Methode macht erstmals Dynamik größerer und unlöslicher Proteine sichtbar
Paul Schanda/IBS Grenoble
Proteine sind im Körper notwendig für zahlreiche grundlegende Funktionen wie den Stoffwechsel und die Immunabwehr, leiten als Rezeptoren Signale weiter und steuern biochemische Reaktionen in der Zelle. So vielfältig wie diese Aufgaben sind auch die räumlichen Strukturen, die Proteine annehmen können. Eine der wichtigsten Methoden, um die jeweilige Form der langen, dreidimensional gefalteten Aminosäureketten zu entschlüsseln, ist die NMR (engl. "nuclear magnetic resonance")-Spektroskopie, mit der sich die Position der einzelnen Atome im Molekül bestimmen lässt. "Manche funktionalen Zustände kann man so jedoch nicht abbilden, weil sie, bezogen auf die Gesamtzahl der Proteine in einer Probe, sehr selten auftreten und nur für Sekundenbruchteile bestehen", erklärt Prof. Dieter Willbold, Direktor des Institute of Complex Systems, Bereich Strukturbiochemie (ICS-6) am Forschungszentrum Jülich.
Erste Erfolge, dynamische Vorgänge sichtbar zu machen, erzielte eine Forschergruppe mit Jülicher Beteiligung kürzlich bereits mithilfe einer Weiterentwicklung der Flüssig-NMR-Spektroskopie. Diese Methode ist allerdings nur auf kleinere und in Lösung befindliche Proteine anwendbar. Ein Team von Wissenschaftlern des Institut de Biologie Structurale (IBS) des Commissariats à l'Energie Atomique in Grenoble und des Forschungszentrums Jülich hat nun eine neues Verfahren auf Basis der Festkörper-NMR entwickelt, das diese Limitierung aufhebt. Die Methode erlaubt direktere Einblicke als bisher, indem sie Informationen über die Winkel zwischen den einzelnen Verbindungen innerhalb des Proteinmoleküls liefert. "Wenn man eine große Zahl solcher Winkel kennt, kann man die Struktur rekonstruieren, auch wenn diese nur eine kurze Lebensdauer hat und zu einem kleinen Prozentsatz in der Probe vorliegt", sagt Paul Schanda, Forschungsgruppenleiter für Festkörper-NMR am IBS.
Die Zuverlässigkeit des Verfahrens wurde am gut erforschten und häufig vorkommenden Protein Ubiquitin geprüft, welches an viele andere Proteine bindet. In früheren Studien war aufgefallen, dass an einer bestimmten Stelle von Ubiquitin zwei leicht unterschiedliche Strukturen zu existieren scheinen. "Mit bisherigen Methoden erhielt man mal die eine, mal die andere Struktur. Mit dem neuen Verfahren konnten wir zeigen, dass in der Probe stets beide Strukturen vorliegen: Ubiquitin springt ständig zwischen den beiden Zuständen hin und her", erklärt Paul Schanda.
Das Verfahren ließe sich beispielsweise auf Enzym- und Membranproteine anwenden, die zu den wichtigsten Angriffspunkten für medizinische Wirkstoffe gehören. Ebenso nützlich könnte es für die Alzheimerforschung werden, die einen der Schwerpunkte der Jülicher Forscher darstellt. Bei dieser Krankheit verklumpen eigentlich harmlose Proteine im Hirn zu schädlichen Aggregaten. "Wahrscheinlich stehen am Anfang zwei oder mehr A-beta-Proteine, die in einem seltenen Faltungszustand aneinander binden und einen Aggregationskeim bilden. Vorgänge wie diese können wir jetzt wesentlich besser erforschen", sagt Dieter Willbold.
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