Eiweißscheren in Tumoren sichtbar gemacht

03.09.2014 - Deutschland

Enzyme erfüllen im menschlichen Körper viele wichtige Aufgaben. Im Inneren von kleinsten Zellorganellen hilft die Gruppe der Cathepsine beispielsweise gesunden Zellen beim Abbau von Eiweißstoffen. Zum Problem werden diese Enzyme hingegen, wenn sich im umliegenden Gewebe Krebszellen ausbreiten. Dann begünstigen sie das Tumorwachstum. Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) haben nun erstmals eine radioaktive Sonde entwickelt, mit der sie Cathepsine – und damit Krebszellen – aufspüren und charakterisieren können. In Experimenten konnten sie bereits nachweisen, dass die verwendete Substanz verstärkt von erkranktem Gewebe aufgenommen wird.

Dr. Löser, Reik

Die neu entwickelte radioaktive Sonde macht Cathepsine - spezielle Enzyme, die gehäuft an Krebszellen vorkommen - sichtbar.

Abfall wird bekanntermaßen in Recyclinghöfen verarbeitet. Auch in den menschlichen Zellen gibt es spezielle Systeme, sogenannte Lysosomen, in denen alte und beschädigte, aber auch von den Zellen aufgenommene Eiweiße in ihre Bestandteile zerlegt und verwertet werden. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Cathepsine. Dies sind Enzyme, die wie eine Schere die Eiweißstoffe auftrennen, bevor die nächsten Recyclingschritte folgen. „Diese ,Mitarbeiter‘ der Recyclinghöfe erfüllen eine wichtige Aufgabe. Denn wenn solche gealterten oder beschädigten Eiweiße nicht abgebaut werden, treten schwere Krankheiten auf“, erklärt Dr. Reik Löser vom Institut für Radiopharmazeutische Krebsforschung am HZDR.

Diese nützliche Arbeit kann sich jedoch ins Gegenteil verkehren, sobald sich eine Tumorzelle auf das umliegende Gewebe – die extrazelluläre Matrix – ausbreitet. Cathepsine werden in diesem Fall auch aus den Lysosomen ausgeschleust. „Getrennt von ihrer natürlichen Umgebung verhalten sich die Enzyme allerdings nicht wie Recyclingexperten, sondern wie eine überforderte Putzkolonne in einem Museum, die sich fragt, ob ein wertvolles Objekt Kunst oder Müll ist“, umschreibt Löser ihre Aktivität in der extrazellulären Matrix. Denn hier bauen sie – ihrer normalen Aufgabe entsprechend – auch solche Eiweißstoffe ab, die dem Gewebe Struktur und Halt geben. Dies begünstigt wiederum die Ausbreitung der erkrankten Zellen.

„Es erscheint daher vielversprechend, Tumoren perspektivisch mit Hemmstoffen zu behandeln, die die Aktivität der Cathepsine unterbinden. Dafür wäre es von erheblichem Vorteil, diese Enzyme durch bildgebende Verfahren visualisieren zu können“, erklärt Löser. Aufbauend auf speziellen chemischen Verbindungen (Azadipeptidnitrilen) hat der Dresdner Forscher eine radioaktiv markierte Sonde – einen sogenannten Radiotracer – entwickelt, der sich gut an die krebsrelevanten Cathepsine bindet. „Bei der Grundsubstanz handelt es sich um einen Hemmstoff, der die Aktivitäten der Enzyme behindern soll“, erläutert Löser. „Indem wir das Radionuklid Fluor-18 über eine Hilfsgruppe mit der chemischen Verbindung verknüpft haben, konnten wir die Substanz in eine molekulare Sonde verwandeln, die für uns sowohl den Tumor aufspüren als auch Aussagen über seine Neigung, in umliegendes gesundes Gewebe einzudringen, liefern kann.“

Mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie (PET), einem modernen Bildgebungsverfahren, kann der Radiotracer im Körper sichtbar gemacht werden – und damit auch die Cathepsine, zusammen mit den erkrankten Zellen. Der Tracer, der in die Blutbahn injiziert wird, zerfällt mit einer Halbwertszeit von etwa 110 Minuten. Dabei werden Positronen, positiv geladene Elementarteilchen, freigesetzt, die ebenfalls instabil sind. Bei ihrem „Verschwinden“ wird wiederum Energie ausgesendet, die mit einem Detektor gemessen werden kann. Ein Computer berechnet daraus anschließend eine dreidimensionale Abbildung. Die intensivste Strahlung geht dabei von den Zellen aus, in denen sich die höchste Konzentration des radioaktiv markierten Stoffes anreichert. „In unserem Fall sind das die Tumorzellen, da sich der Tracer ja besonders an die krebsrelevanten Cathepsine bindet“, beschreibt Löser den Vorgang.

Auf den PET-Bildern kann so das gesunde Gewebe von den erkrankten Zellen gut unterschieden werden. Dies konnten die Rossendorfer Wissenschaftler bei Untersuchungen mit Mäusen, die menschliche Tumorzellen trugen, zeigen. Ihre neuentwickelte Substanz reicherte sich in den erkrankten Zellen an. Bevor sie aber in der Klinik verwendet werden kann, wird noch einige Zeit vergehen, schätzt Löser: „Wir müssen die Stabilität der Substanz im Blut erhöhen, um dadurch einen besseren Kontrast von Tumor zu Normalgewebe zu erreichen. Momentan ist dieser noch zu gering. Trotzdem konnten wir mit der Entwicklung die präzisere Diagnose und Charakterisierung von Tumoren um einen weiteren wichtigen Schritt voranbringen.“

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