In den Körper blicken: Radikal neues Kontrastmittelkonzept

12.03.2015 - Österreich

Ein internationales Konsortium unter der Leitung der TU Graz hat ein völlig neues Konzept für Kontrastmittel erfolgreich ins Rennen um eine Förderung im EU-Exzellenzprogramm FETopen geschickt. Das Verfahren hat enormes Potential für die medizinische Bildgebung mittels Magnetresonanz. Das Grazer Team betritt damit echtes Neuland und wird mit der Förderung von 2,5 Millionen Euro für drei Jahre seine vielversprechenden Erstansätze für „smarte“ Kontrastmittel weiter erforschen. Die Forschungsförderschiene FETopen unterstützt ausschließlich radikal neue Ideen und ist extrem kompetitiv: Nur knapp vier Prozent der Projektanträge bekommen einen Zuschlag.

© Lunghammer - TU Graz

Ein Forschertrio der TU Graz lässt mit einem Konzept für völlig neue Kontrastmittel aufhorchen: Andreas Petrovic, Hermann Scharfetter und Stefan Spirk (v.l).

Was der ERC Grant für Einzelforscher ist, ist die FETopen-Förderung für Forschungskonsortien: Die wissenschaftliche Exzellenzförderschiene im Rahmen des EU-Programms Horizon2020 fördert absolut neue, wissenschaftlich vielversprechende Ideen. Von über 600 eingereichten Projektideen für 2015 wurden aktuell nur 24 genehmigt – darunter das Projekt „CONQUER“ unter der Leitung der TU Graz. Die Idee von Hermann Scharfetter, Stefan Spirk und Andreas Petrovic von der TU Graz: mithilfe eines quantenmechanischen Effekts namens Quadrupolrelaxation völlig neue, „smarte“ Kontrastmittel für die Magnetresonanztomographie zu designen und so molekulare Bildgebung in der MR-Tomographie zu ermöglichen. Damit ließe sich nicht nur die Anatomie abbilden, sondern auch die Funktionen von Gewebe und Organen bis auf die molekulare Ebene. „Wir sehen in unserer Idee die Möglichkeit, tolle neue Kontrastmittel zu entwickeln, mit noch nie dagewesenen Funktionen. Denkbar ist etwa das gezielte Ein- und Ausschalten von Kontrasten im untersuchtem Gewebe, die Sensitivität auf den pH-Wert und andere Biomarker“, schildert Hermann Scharfetter vom Institut für Medizintechnik der TU Graz.

Wenn Atome sich zurückmelden

Die Quadrupolrelaxation ist ein bekannter, in der Magnetresonanz-Tomographie bisher aber weitgehend ungenutzter quantenmechanischer Effekt, der bei bestimmten Atomen auftritt. Hermann Scharfetter erklärt: „Bei der Magnetresonanz-Tomographie werden die Kerne von Wasserstoffatomen mit hochfrequenten Magnetfeld-Impulsen angeregt und erzeugen in den Empfangsspulen schwache Signale, die dann zu Bildern verarbeitet werden. Sind nun Moleküle mit Quadrupolkernen in  einem bestimmten Gewebe, kann dadurch das  erzeugte Signal und somit der Bildkontrast gezielt verändert werden. Im Gegensatz zu konventionellen Kontrastmitteln kann die Wirkung der Quadrupolkerne durch eine geeignete Messung, aber auch durch chemische Prozesse ein- oder ausgeschaltet werden. Das klingt jetzt zwar einfach. Man muss aber nicht nur wissen, welche Substanz sich dafür eignet, sondern auch bei welcher Frequenz die Quadrupol-Atomkerne auf Hochfrequenzimpulse antworten. Und dann wartet noch eine Herausforderung: Um die geeigneten Substanzen zu finden und gezielt zu synthetisieren muss das Quadrupolsignal entsprechend gemessen und  interpretiert werden“. Wenn das mit einer entsprechenden Apparatur gelingt, und die richtigen Moleküle hergestellt sind, wären damit völlig neue Möglichkeiten im Bereich der medizinischen Bildgebung möglich.

Experimente mit Mikrowelle und Katzenfutterdose

Vor Herausforderungen der besonderen Art schreckt Hermann Scharfetter nicht zurück: Mit der Bastlerleidenschaft eines Medizintechnikers, einem ausgeschlachteten Mikrowellenherd, einer zweckentfremdeten Katzenfutterdose und vermeintlichem Elektroschrott hat er in monatelanger Tüftlerei im Institutslabor an der TU Graz einen ersten Prototypen für ein spezielles Kernquadrupol-Resonanzspektrometer zur Messung des feinen Atomsignals realisiert. „Es war ein echter Heureka-Moment, als ich nach einem Jahr Arbeit und mehreren Misserfolgen eines Nachts das lang gesuchte Signal tatsächlich messen konnte. Zweimal hätte ich beinahe aufgegeben, weil ich mich auf Literaturdaten verlassen hatte. Meine Experimente an der selbstgebauten Apparatur haben aber eine andere Sprache gesprochen“. Um diesen ersten durchbrechenden Erfolg weiter auszubauen, braucht es viel weiteres Knowhow. Mit an Bord von „CONQUER“ sind nun die Toxikologin Eleonore Fröhlich von der MedUni Graz, eine polnische Quantenphysikerin, ein schwedischer Quantenchemiker und eine slowenische Materialwissenschafterin, konkret die Vizerektorin der Universität Maribor.

Am Anfang war die kühne Idee

„Wenn eine Idee am Anfang nicht absurd klingt, dann gibt es keine Hoffnung für sie“, sagte Albert Einstein. Ein Zitat, das treffend ist für den Erfolg des Forschertrios: Einem Riesenzufall, Herzblut, Enthusiasmus und der Hartnäckigkeit eines Hardwaretechnikers haben es die Medizintechniker Hermann Scharfetter und Andreas Petrovic und  der Chemiker Stefan Spirk zu verdanken, dass eine vermeintlich naive Idee eine Millionenförderung der EU abgestaubt hat. Die beiden Nachwuchsforscher Stefan Spirk und Andreas Petrovic kannten einander aus der der Anfangszeit ihres Studiums, trafen einander vor einiger Zeit zufällig wieder und plauderten bei einem „Spontanbier“ über ihre jeweiligen Forschungsfelder. „Eins kam zum anderen und irgendwann haben wir über die Quadrupolrelaxation gesprochen. Daraus ist irgendwie die kühne Idee entstanden, diesen Effekt in der MR-Tomographie einzusetzen“, erzählen die beiden Forscher. Auch Hermann Scharfetter war die Idee seiner beiden Kollegen anfangs zu abstrakt, ganz Forscherseele biss er aber doch an und entdeckte bald, dass hinter der vermeintlich naiven Idee großes Potential schlummert, das perfekt zu den Forschungsaktivitäten des Institutes für Medizintechnik unter der Leitung von Rudolf Stollberger passt. „Der FETopen-Zuschlag ermöglicht es uns nun, mehrere PostDocs auf das Thema anzusetzen und – endlich – professionelle Geräte für weitere Untersuchungen und Entwicklungen anzuschaffen. Irgendwann bin sogar ich mit meiner Bastlerei am Ende“, schmunzelt Scharfetter.

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