Spektroskopie höchster Präzision mit gefrorenen hochgeladenen Ionen
MPI für Kernphysik
MPI für Kernphysik
Bei sehr hohen Temperaturen können Atome einen Großteil ihrer Elektronen verlieren und werden so zu hochgeladenen Ionen (Highly-Charged Ions = HCIs). Diese stellen eine umfangreiche Klasse atomarer Systeme dar und bieten mannigfaltige neue Möglichkeiten für Hochpräzisions-Studien in der Metrologie und Astrophysik bis hin zur Suche nach „Neuer Physik“ jenseits des Standardmodells der Teilchenphysik. Laserspektroskopie an kalten Atomen oder Ionen in niedrigen Ladungszuständen hat sich in den letzten Jahrzehnten zur mächtigsten Methode für Hochpräzisionsmessungen entwickelt. Jedoch war diese bislang auf wenige atomare bzw. ionische Spezies beschränkt und die Präparation kalter HCIs ist heutzutage eine der großen Herausforderungen in der Atomphysik. Das wesentliche Hindernis liegt in der außergewöhnlichen Art und Weise der Produktion von HCIs bei einer Temperatur von mehreren Millionen Grad. Um andererseits die Stärke der Laserspektroskopie auszuspielen, sind Temperaturen von weniger als einem Grad über dem absoluten Nullpunkt erforderlich: Die thermische Energie der Ionen muss demnach um einen Faktor von mindestens 10 Millionen reduziert werden.
In einem Kooperationsprojekt des Heidelberger Max-Planck-Instituts für Kernphysik (MPIK), der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) und der Universität Aarhus gelang es einem Team von Physikern, HCIs im Vakuum auf Temperaturen unterhalb von 1 Kelvin abzukühlen und dabei deren Bewegung einzufrieren, sodass sie einen sogenannten Coulomb-Kristall formen. Das Verfahren hierzu wurde erstmals am MPIK in der Gruppe um José Crespo López-Urrutia demonstriert. Lisa Schmöger, die im Rahmen ihrer Doktorarbeit die Abbremseinheit aufgebaut und das Experiment durchgeführt hat, erklärt die dreistufige Prozedur (Abb. 1): Zuerst werden HCIs in einer speziellen Ionenfalle, genannt Hyper-EBIT, innerhalb eines dichten und energiereichen Elektronenstrahls bei einer Temperatur von mehreren Millionen Grad und unter extremen Vakuumbedingungen erzeugt und eingeschlossen (1). Einzelne Pakete von HCIs werden dann aus der Falle extrahiert und in einem evakuierten Strahlrohr beim Durchlaufen eines gepulsten linearen Abbremspotentials verlangsamt und vorgekühlt (2). Die Ionen werden sehr behutsam transportiert und schließlich in der kryogenen Radiofrequenz-Paulfalle CryPTEx gespeichert, die am MPIK in Zusammenarbeit mit der Gruppe von Michael Drewsen (Aarhus) aufgebaut worden ist (3). In der Falle pendeln die HCIs zwischen Spiegelelektroden hin und her, wobei sie langsam an Geschwindigkeit verlieren, bevor sie in einer lasergekühlten Wolke leichter Ionen (einfach geladenes Beryllium) eingebettet werden. Gleich einem Kältebad bewirkt dies nun das indirekte (sympathetische) Kühlen der HCIs.
In einer Radiofrequenzfalle sind die durch die äußeren elektrischen Felder eingeschlossenen Ionen in der Vakuumkammer gezwungen, sich ein kleines Volumen zu teilen, wobei sie sich gegenseitig elektrisch abstoßen. Zusätzlich wird diese millimetergroße Wolke von Beryllium-Ionen mit einem speziellen Laser gekühlt, sodass sie schließlich ausfrieren und einen Coulomb-Kristall bilden, sobald ihre thermische Bewegung gegenüber ihrer Abstoßung vernachlässigbar wird. Hierzu kamen am MPIK ausgeklügelte Lasersysteme zum Einsatz, die an der PTB von Oskar Versolato und seinen Kollegen aufgebaut worden waren. Sobald die HCIs innerhalb des lasergekühlten Ionenensembles genügend abgekühlt sind, kristallisieren sie ebenfalls und können in verschiedener Anordnung gespeichert werden. Abb. 2a zeigt einen reinen Beryllium-Kristall aus etwa 1500 Ionen, aufgenommen von einer CCD-Kamera, welche das von den einzelnen Ionen emittierte Fluoreszenzlicht des Kühllasers nachweist. In Abb. 2b erscheinen fünf gefangene Ar13+-Ionen als eine Kette von dunklen „Löchern“, da sie selbst nicht leuchten, aber die sie umgebenden Beryllium-Ionen verdrängen. Abb. 2c zeigt einen Kristall aus 29 Beryllium-Ionen mit einem einzelnen Ar13+-Ion im Zentrum. Der extreme Fall von nur je einem verbliebenen Ion beider Sorten (mit dem unsichtbaren Ar13+-Ion in der Mitte) ist in Abb. 2d demonstriert. Derartige Ionenpaare bilden die Basis für Quantenuhren und Quantenlogik-Spektroskopie – eine Technik, die Piet Schmidt, Gruppenleiter an der PTB, während seines Aufenthalts im Labor von Nobelpreisträger Dave Wineland am NIST (Boulder, USA) entwickelt hat. Hierbei liefert das „Spektroskopie-Ion“ den hochpräzisen optischen atomaren Übergang, welcher die Ganggenauigkeit der Uhr auf 17 Dezimalstellen hält. Dieses ist quantenmechanisch mit einem „Logik-Ion“ verknüpft, welches zugleich zur Kühlung und zum Auslesen des Spektroskopie-Ions dient: Laserpulse erlauben dem fluoreszierenden Logik-Ion, den Quantenzustand des unsichtbaren Nachbar-Ions wahrzunehmen und in Abhängigkeit von dessen Anregungszustand die eigene Fluoreszenzrate stark zu verändern. José Crespo López-Urrutia erklärt dies mit folgender Analogie: „Bei diesem Quanten-Ehepaar nehmen beide Partner alles gemeinsam wahr, aber während eine der beiden Personen gar nicht sprechen kann, tut dies die andere umso mehr – und Sie fragen einfach die gesprächigere von beiden.“
Die effiziente Kühlung gefangener HCIs eröffnet ein neues Feld in der Laserspektroskopie: Präzisionstests der Quantenelektrodynamik, Messung von Kerneigenschaften und Laborastrophysik. HCIs sind ziemlich unempfindlich gegenüber thermischen Verschiebungen der Strahlungsfrequenz und anderen systematischen Effekten, welche die Genauigkeit einer Atomuhr begrenzen, und versprechen somit zukünftige Anwendungen für neuartige optische Uhren mittels Quantenlogik-Spektroskopie. Das ehrgeizigste Ziel der Zusammenarbeit von MPIK und PTB ist der Test der Zeitabhängigkeit von Naturkonstanten wie z. B. der Feinstrukturkonstante α, welche die Stärke der elektromagnetischen Wechselwirkung bestimmt. Laut Theorie ist für Laserspektroskopie 17-fach geladenes Iridium der empfindlichste Kandidat, um die zeitliche Veränderung von α zu testen. Zur Vorbereitung dieser zukünftigen Untersuchungen wird von der PTB ein neues hochstabiles Lasersystem am MPIK installiert – zunächst, um diese Technik anhand des besser bekannten Ar13+ vorzuführen. Die jungen Wissenschaftler können es kaum erwarten, mit diesem Werkzeug und der neuen Kühlmethode zu spielen.
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