Kryo-Elektronentomografie ermöglicht ungetrübten Blick in die Zelle
Wissenschaftler machen erstmals die Kernlamina einer Zelle sichtbar
© MPI für Biochemie
Dank neuester Technologien können Wissenschaftler in immer kleinere Welten vordringen. So ist es das Ziel der Arbeitsgruppe um Wolfgang Baumeister, Leiter der Abteilung „Molekulare Strukturbiologie“ am Max-Planck-Institut für Biochemie, die kleinsten zellulären Strukturen in ihrer natürlichen Umgebung sichtbar zu machen. Federführend in der Entwicklung der Kryo-Elektronentomografie, sind die Forscher mittlerweile in der Lage, größere Moleküle wie DNA oder einzelne Proteinkomplexe in dreidimensionalen Bildern aufzunehmen und zu analysieren.
„Eine Zelle besteht zu 90 Prozent aus Wasser. In klassischen elektronenmikroskopischen Bildgebungsverfahren werden die Zellen fixiert, entwässert, angefärbt und so chemisch verändert. Dadurch entstehen Artefakte und der natürliche funktionelle Zusammenhang der einzelnen zellulären Bestandteile geht verloren“, erläutert Julia Mahamid, Erstautorin der Veröffentlichung.
Detaillierter Blick auf kleinste Zellbestandteile
„Innerhalb der letzten fünf Jahre haben sich verschiedene Techniken soweit verbessert, dass wir jetzt das erste Mal die drei Nanometer dünne Kernlamina sehen können“, so Mahamid weiter. Diese Schicht besteht aus dünnen fadenartigen Proteinen und stützt in den Zellen die Struktur des Zellkerns. Auf ihren 3D-Bildern können die Wissenschaftler auch Kernporen, also die Portale vom Zellkern in das Zellplasma sehen, Ribosomen - die Proteinfabriken der Zellen - oder Teile des Zellskelettes, wie Mikrotubuli, Intermediärfilamente und das Zellskelettprotein Aktin.
Für die Kryo-Elektronentomografie werden Zellen schockgefroren. Dadurch gefriert das Wasser in einem glasartigen Zustand, und es entstehen keine Eiskristalle, die die molekularen Strukturen zerstören würden. Ähnlich der Computertomografie in der medizinischen Diagnostik werden zweidimensionale Bilder aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen, in diesem Fall mit einem Transmissions-Elektronenmikroskop. Die zelluläre Landschaft wird dann aus den aufgenommenen Bildern am Rechner wieder zu dreidimensionalen Bildern zusammengesetzt. Einen wesentlich erhöhten Kontrast erhalten die Wissenschaftler dabei durch die am Institut kürzlich entwickelte Volta-Phasen-Platte, die jetzt die Einblicke in den dicht gepackten Zellkern ermöglicht.
Für die Transmissions-Elektronenmikroskopie werden sehr dünne Proben benötigt. „Aus den schockgefrorenen, mehreren Mikrometer dicken menschlichen Zellen werden mit Hilfe eines fokussierten Ionenstrahls etwa 200 Nanometer dünne Zellschnitte hergestellt“, erklärt Mahamid. Diese Methode wurde bislang hauptsächlich in der Materialwissenschaft angewandt. Das Verfahren lässt im Gegensatz zu mechanischen Schnitten die molekularen Strukturen im glasartigen Zellschnitt unverändert.
„Das Projekt ist ein Ergebnis aus dem Zusammenspiel vieler Innovationen, die in den letzten Jahren etabliert wurden und beruht auf der gemeinsamen Leistung vieler Wissenschaftler“, erklärt Mahamid. „In Zukunft können viele zelluläre Prozesse auf molekularer Ebene in der natürlichen Umgebung sichtbar gemacht werden.“