Blattläuse als Bio-Sensoren
Jörg Fromm / Christian Wiese
Rosalia Deeken / Sönke Scherzer /Christian Wiese
Wenn eine Pflanze mechanisch verletzt oder mit Kälte konfrontiert wird, schickt sie elektrische Impulse durch ihren Körper. In beiden Fällen legen die Signale größere Strecken zurück, und zwar zehn Zentimeter und mehr. Die Signale laufen von den verwundeten oder unterkühlten Stellen in alle anderen Organe, die dann passend reagieren – zum Beispiel indem sie Proteine synthetisieren, die Pflanzen vor Kälte schützen.
Eine Verletzung verursacht dabei völlig andere elektrische Signale als ein Kälteschock. Das hat der Biophysiker Professor Rainer Hedrich von der Uni Würzburg mit seinem Team an der Modellpflanze Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) entdeckt.
Eine Schnittverletzung an einem Blatt löst relativ langsame elektrische Impulse aus, die sich über mehrere Minuten hinziehen. Kälteeinwirkung dagegen führte zu schnelleren, etwa 15 Sekunden kurzen Impulsen. „Diese Unterschiede sind für uns ein Hinweis darauf, dass die elektrischen Signale jeweils eine spezielle Bedeutung haben“, so Hedrich.
Elektrische Signale an den Siebröhren
Steckt hinter dieser Sache vielleicht ein ähnliches Prinzip wie beim Nervensystem des Menschen? Dort laufen elektrische Signale an spezialisierten Zellen entlang, überbrücken Synapsen und lösen am Ende eine Reaktion im Körper aus. Pflanzen allerdings haben kein Gehirn, keine Nervenzellen und keine Synapsen. Deshalb gebe es auch keine ernsthaften wissenschaftlichen Gründe, ihnen eine Intelligenz zuzuschreiben und eine „Pflanzenneurobiologie“ zu proklamieren, so Hedrich.
Trotzdem sind mittlerweile viele Wissenschaftler davon überzeugt, dass auch Pflanzen über elektrische Signale Informationen zwischen den Organen ihres Körpers austauschen. Hedrichs Arbeiten an der Venusfliegenfalle haben sogar gezeigt, dass diese fleischfressende Pflanze die gesendeten elektrischen Signale zählen kann und danach Entscheidungen fällt.
Messen lassen sich solche Signale in den Siebröhren. Das ist ein Leitungssystem aus miteinander gekoppelten Zellen, das sich wie ein Gefäßsystem durch die ganze Pflanze zieht und in dem ansonsten Zucker und andere Stoffe transportiert werden.
Messung der Signale bislang schwierig
Sind die Siebröhren das „grüne Stromkabel“ oder sogar eine Art „Nervensystem“ der Pflanze? Diese Einschätzung ist umstritten – was unter anderem einen methodischen Grund hat: Die Wissenschaft verfügt bislang über keine guten Werkzeuge, um in Pflanzen die Weiterleitung elektrischer Signale über größere Entfernungen zu messen.
Rainer Hedrich, Vicenta Salvador-Recatalà und Ingo Dreyer haben nun eine elegante Lösung für dieses Problem gefunden, die sie im Fachmagazin „Trends in Plant Science“ vorstellen: Die Pflanzenwissenschaftler benutzen Blattläuse als Bio-Sensoren. Sie haben dafür eine seit 1964 bekannte Methodik weiterentwickelt, bei der zwischen Blattlaus und Pflanze ein elektrischer Stromkreis erzeugt wird.
Läuse saugen im Dienst der Forschung
Wie das funktioniert? Blattläuse stechen sehr zielgenau in die Siebröhren von Pflanzen und saugen den zuckerhaltigen Saft. Klebt man ihnen einen feinen Draht an den Körper und verbindet ihn mit einer Elektrode, die in der Erde einer eingetopften Pflanze steckt, entsteht zwischen Laus und Pflanze ein Stromkreis. Über ihn lässt sich die Ausbreitung elektrischer Signale in den Siebröhren messen.
Mit dieser Methode gilt es nun viele Fragen zu klären. Wie und wo entstehen die Signale? Welche Informationen transportieren sie? Wo werden sie registriert und welche Reaktionen folgen darauf? Genug Arbeit also für die Würzburger Wissenschaftler – und auch für die Blattläuse, die im Dienst der Forschung stechen und saugen.
„Wir wollen aber auch versuchen, die ‚Bioelektroden‘ zu entlasten“, so Hedrich, „indem wir Gene für Membranpotential-sensitive Reporterproteine im Phloem exprimieren und so die elektrischen Ereignisse des gesamten ‚grünen‘ Schaltkreises einer Pflanze überwachen können.“