Entwicklung hochpräziser Kernuhr rückt näher
Zeitmessung mithilfe der Schwingungen von Atomkernen könnte die Präzision herkömmlicher Atomuhren deutlich übertreffen
© Christoph Düllmann
Schwingungen als Taktgeber
Die Sekunde ist die Basiseinheit der messbaren Zeit. Herkömmliche Atomuhren ermitteln die Dauer einer Sekunde über Schwingungen, die angeregte Elektronen in der Elektronenhülle des Elements Cäsium aussenden. Die derzeit beste Atomuhr erreicht eine relative Genauigkeit von fast 10-18. "Noch viel präzisere Messungen wären mit einer sogenannten Kernuhr möglich, bei der nicht Schwingungen in der Elektronenhülle eines Atoms gemessen würden, sondern Schwingungen direkt im Atomkern", erläutert Thirolf. "Eine solche Uhr hätte außerdem den Vorteil, dass Atomkerne etwa 100.000 Mal kleiner sind als ganze Atome und daher wesentlich unempfindlicher auf Störeinflüsse von außen reagieren."
Allerdings ist von allen bisher bekannten über 3.300 Atomkernen nur ein einziger potenziell für den Einsatz als Kernuhr geeignet: der schwere Atomkern des Elements Thorium mit der Massenzahl 229 (Thorium-229). Seit mehr als 40 Jahren vermuten Wissenschaftler, dass es für diesen Atomkern einen Anregungszustand (Isomer) gibt, der nur knapp über dem energetischen Grundzustand liegt, das sogenannte Thorium-Isomer Th-229m. Dieses Isomer stellt den niedrigsten Anregungszustand aller bekannten Atomkerne dar. Zusätzlich wird für Th-229m eine relativ lange Lebensdauer von einigen Minuten bis zu Stunden erwartet. Deswegen geht man davon aus, dass extrem genaue Messungen der Schwingungen, die beim Kernübergang von Th-229m zurück zum Grundzustand entstehen, möglich sind.
Kernübergang erstmals direkt nachgewiesen
Allerdings konnte das Thorium-Isomer Th-229m bisher noch nie direkt nachgewiesen werden. "Dass es existiert, ging bislang nur aus indirekten Messungen hervor", so Thirolf. In einem komplexen Experiment ist es den Wissenschaftlern nun erstmals gelungen, das Isomer direkt nachzuweisen. Dabei nutzten sie den radioaktiven Alpha-Zerfall von Uran-233 als Quelle: Eines der Zerfallsprodukte von Uran-233 ist Th-229m. "Das Uran-233 wurde im Institut für Kernchemie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz chemisch gereinigt und von unserem Team aus Mainzer und Darmstädter Experten als hochreine Dünnschicht auf einem titanbeschichteten Silicium-Wafer aus der Halbleiterindustrie abgeschieden. Diese Uran-233-Quelle wurde danach in München in die Experimentierapparatur eingebaut und lieferte dort das zu untersuchende Th-229m", erklärt Univ.-Prof. Dr. Christoph Düllmann, der die entsprechenden Arbeitsgruppen in Mainz und Darmstadt leitet.
"Das Th-229m wurde über mehrere Zwischenschritte schließlich als Ionenstrahl isoliert. Mithilfe eines Mikrokanalplattendetektors konnten wir dann den Kernübergang, also den Zerfall des Isomers zurück zum Grundzustand von Thorium, als klares und eindeutiges Signal messen – und so direkt nachweisen, dass dieser angeregte Zustand tatsächlich existiert", berichtet Thirolf. "Das ist ein Fortschritt, der für die zukünftige Entwicklung einer Kernuhr entscheidend ist", betont der LMU-Physiker. "Im Rahmen des europäischen Forschungsverbunds nuClock werden wir dieses Ziel weiter verfolgen. Als nächstes müssen nun die Eigenschaften des Kernübergangs genauer bestimmt werden, also seine Halbwertszeit und vor allem die genaue Übergangsenergie. Mithilfe dieser Daten könnten Laserphysiker einen auf die Übergangsfrequenz abgestimmten Laser entwickeln – eine wichtige Voraussetzung, um die Kernanregung optisch zu kontrollieren." Prof. Dr. Thomas Stöhlker, Forschungsdirektor des GSI Helmholtzzentrums in Darmstadt, betont: "Diese neuen Befunde sind sehr wertvoll, auch für die am GSI/FAIR-Speicherring geplanten Experimente zum Th-229m, insbesondere zur Energiebestimmung des Übergangs."