Was der Atem verrät: Mit Infrarotsensoren Krankheiten aufspüren
Preis für Ulmer Chemiker
„Einmal bitte ins Röhrchen pusten“: Was einigen Autofahrern aus Verkehrskontrollen bekannt sein dürfte, könnte zunehmend das Blutbild bei ärztlichen Untersuchungen ergänzen. Ulmer Wissenschaftler um Professor Boris Mizaikoff, Leiter des Instituts für Analytische und Bioanalytische Chemie (IABC), haben nämlich ein Verfahren zur Atemgasanalytik („μbreath“) entwickelt, mit dem sich verschiedenste Erkrankungen des Menschen – teilweise sogar vor dem Ausbruch – diagnostizieren lassen. Für ihre anwendungsnahen Infrarotsensoren, die nicht nur Lungenkrankheiten in der Atemluft eines Patienten aufspüren, sind die Forscher um Prof. Boris Mizaikoff nun von der britischen Royal Society of Chemistry ausgezeichnet worden.
Lee Allison Photography
„Der Stoffwechsel des Körpers wird in der Zusammensetzung der Atemluft reflektiert. Anhand winzigster Moleküle, die sich bei körperlichen Erkrankungen verändern, lassen sich nicht nur Krankheiten der Lunge, sondern auch der Leber, der Nieren sowie beispielsweise Brustkrebs in einem – mehr oder weniger – frühen Stadium diagnostizieren“, erklärt Professor Boris Mizaikoff. Bisher war die Atemgasanalytik für durchschnittliche Arztpraxen jedoch zu teuer, denn die geringe Konzentration der Spurengase macht hochsensible Geräte nötig. Gemeinsam mit spezialisierten Unternehmen entwickelt Mizaikoff derzeit eine neue, kostengünstige Messmethode, die den Nachweis mehrerer Spurengase gleichzeitig in kleinen Probenvolumina ermöglicht. Die so genannte Infrarotspektroskopie läuft in einem hohlen Lichtwellenleiter ab – eine Entwicklung des IABC – in den die ausgeatmete Luft des Patienten gepumpt wird. In diesem Gemisch detektiert ein frequenz-abstimmbarer Laserstrahl „molekulare Fingerabdrücke“ von krankheitsspezifischen Biomarkern. Die gemessene Konzentration dieser Marker erlaubt womöglich sogar Rückschlüsse auf Krankheitsstadien sowie den Therapiefortschritt. Ein weiterer Vorteil von μbreath: Die Lichtwellenleiter lassen sich in kleinsten Substraten und in Zukunft in winzige Chips integrieren und sind somit vielseitig einsetzbar. Eine Einschränkung gibt es derzeit noch: „Veränderungen des Atemgases können auch nicht-krankhafte Ursachen haben – zum Beispiel durch die Ernährung bedingt. Um Messfehler zu vermeiden, sollte unser Sensor in der medizinischen Diagnostik zunächst mit einer weiteren Methode gekoppelt werden“, sagt Boris Mizaikoff.
Zur Optimierung dieser nicht-invasiven Technologie bietet die Universität Ulm ein hervorragendes biomedizinisches Forschungsumfeld: Im „Trauma-Sonderforschungsbereich“ 1149 führen die Wissenschaftler um Mizaikoff gemeinsam mit der Arbeitsgruppe um Professor Peter Radermacher, Leiter des Instituts für Anästhesiologische Pathophysiologie und Verfahrensentwicklung des Universitätsklinikums Ulm zum Beispiel Sensorexperimente durch. „Im Mausmodell konnten wir bereits zeigen, dass sich die Leberfunktion über einen mit dem Beatmungsgerät verbundenen μbreath-Analysator kontinuierlich überwachen lässt“, so der Chemiker. Darüber hinaus werden im Rahmen der kürzlich bewilligten Graduiertenschule PULMOSENS relevante lungenphysiologische Grundlagen erforscht – und womöglich tragen die Kollegiaten die Atemgasanalytik in die klinische Anwendung. Eine Ausgründung ist in jedem Fall denkbar.
Tatsächlich ist die neue Technologie nicht auf die medizinische Diagnostik beschränkt, sondern findet auch beispielsweise in der Umweltanalytik Anwendung. Ausgangspunkt war eine Kooperation mit dem Lawrence Livermore National Laboratory (USA): Die deutsch-amerikanischen Wissenschaftler haben damals nach einer Möglichkeit gesucht, gasförmige Schadstoffe nachzuweisen – und nun bildet ihre inzwischen patentierte Technologie die Grundlage der Atemgasdiagnostik.
Der zweite Preis beim Wettbewerb „Emerging Technologies Competition“ (Kategorie „Health and Wellbeing“) des Berufsverbandes „Royal Society of Chemistry“ bringt den Forschern um Professor Mizaikoff vor allem wertvolle Industriekontakte, Unterstützung bei einer möglichen Ausgründung durch ein weltweit agierendes Unternehmen und als Anerkennung 3000 britische Pfund. Den ersten Platz belegten Forscher der schottischen Universität St. Andrews.
„Wir hätten uns nie träumen lassen, dass ein neues analytisches Verfahren, das wir erst vor drei Jahren im Fachjournal ,Analytical Chemistry‘ publiziert haben, heute schon einen Preis für anwendungsnahe Technologien erhält“, so der Ulmer Forscher. Die Juroren seien hochkarätige Vertreter aus der Pharmaindustrie, was auf das große Potential von μbreath schließen lasse. „Das Interesse in der Industrie ist groß: Schon jetzt erhalten wir zahlreiche Anfragen zu unserer Atemgasanalytik“, ergänzt Professor Mizaikoff.
Die Messmethode wird derzeit unter der Leitung von Mizaikoff im Zuge des Projekts „Advanced Photonic Sensor Materials“ weiterentwickelt, das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Programms M-ERA.NET gefördert wird. Neben dem Institut für Analytische und Bioanalytische Chemie sind hochspezialisierte Unternehmen in Deutschland und Österreich beteiligt.