Deutsche Biotech-Firmen bei innovativen Verfahren zur Krebsdiagnostik führend

27.07.2016 - Deutschland

Die Krebsdiagnostik auf der Basis von Blutproben ("Liquid Biopsy") gehört zu jenen Forschungsbereichen der Biomedizin, die sich rasant entwickeln. Deutsche Biotech-Firmen sind hier international mit an der Spitze dabei. Das belegt eine Umfrage des Biotechnologieverbandes BIO Deutschland. Erste Tests sind EU-weit und oft darüber hinaus zugelassen, weitere befinden sich in der Entwicklung. Allerdings gehören die neuen Konzepte noch nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Ärzteorganisationen beschreiten darum alternative Wege, um den Rechtsanspruch von Patientinnen und Patienten auf diese Diagnostik durchzusetzen.

Im Zeitalter der "Präzisionsmedizin" wird die individuelle Steuerung der Therapie bei vielen Krebserkrankungen zu einem kontinuierlichen Prozess, getrieben von neuen diagnostischen und therapeutischen Optionen. In den molekularpathologischen Laboratorien können Experten - erstens - die genetische Heterogenität und Wandlungsfähigkeit von Tumoren im Krankheitsverlauf sehr genau charakterisieren. Es wächst - zweitens - die Zahl jener Medikamente, die zielgerichtet an genetischen "Schwachstellen" eines Tumors ansetzen. Mit der Flüssigbiopsie ("Liquid Biopsy") steht unter bestimmten Bedingungen - drittens - eine Alternative zur Gewebeentnahme zur Verfügung: Untersucht werden dabei von Tumoren freigesetzte Erbmoleküle (DNA, RNA) oder Zellen, die im Blut oder anderen Körperflüssigkeiten von Patientinnen und Patienten zirkulieren.

"Ob eine Therapie greift oder an Wirksamkeit verliert, ob ein Tumor gegen Medikamente resistent wird oder ob es nach einer Ruhepause zu einem Rückfall der Erkrankung kommt, lässt sich mit Hilfe der Flüssigbiopsie früher und präziser diagnostizieren als mit den Methoden der konventionellen Tumornachsorge. So kann auch die Behandlung frühzeitig angepasst werden", sagt Michael Hummel, Leiter des Molekularpathologischen Labors am Institut für Pathologie der Charité. Gleichwohl betont der Experte, dass die Untersuchungsergebnisse einer Flüssigbiopsie alleine ohne Kenntnisse der sehr umfangreichen Tumormerkmale, die bei einer Gewebeuntersuchung gewonnen werden, keine ausreichende Interpretation erlauben: "Die Flüssigbiopsie wird darum bei den derzeitigen Konzepten als ergänzendes Verfahren zur Diagnostik im Krankheitsverlauf eingesetzt." Hinzu kommt, dass die Methode nicht für alle Tumoren und nicht für alle Stadien einer Erkrankung gleich gut geeignet ist. "Nicht zuletzt besteht noch Bedarf, die verschiedenen Verfahren zu harmonisieren", erklärt Hummel weiter.

Dass die Flüssigbiopsie ein großes Potenzial hat, ist jedoch unter Experten unumstritten. "Zwar sind nur wenige deutsche Biotech-Unternehmen im Bereich der Flüssigbiopsie aktiv, doch diese sehen sich in einem hochkompetitiven Umfeld mit der internationalen Konkurrenz auf Augenhöhe", erklärt Viola Bronsema, Geschäftsführerin der Biotechnologie-Industrie-Organisation Deutschland (BIO Deutschland e. V.). Bei einer Umfrage unter Mitgliedsunternehmen des Verbandes innovativer Unternehmen gaben fünf an, auf diesem Gebiet der Diagnostik aktiv zu sein. Im Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, ebenfalls Mitglied von BIO Deutschland, laufen ebenfalls entsprechende Forschungsarbeiten. Diese erfolgen bei allen Unternehmen im Schulterschluss mit anderen Firmen, etwa aus dem Pharmabereich, und/oder mit Forschergruppen an Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen.

Die Firmen arbeiten an Testverfahren für verschiedene Krebserkrankungen: Lungen-, Darm-, Prostata-, Brust- und Eierstockkrebs sowie Melanom. Die Analysen beschränken sich nicht auf zirkulierende DNA-Fragmente. Im Visier befinden sich auch Fragmente des Gen-Botenstoffs RNA, zirkulierende Tumorzellen und "Exosomen" genannte Mikrovesikel, die von Zellen freigesetzt werden. Der geringe Anteil der Tumor-DNA an der gesamten zirkulierenden DNA liegt oft unter einem Prozent. Darum gehören Techniken der DNA-Vermehrung, von denen es verschiedene gibt, zu allen Testverfahren. Erst danach lassen sich mit unterschiedlichen Verfahren, etwa der Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR), bekannte Mutationen identifizieren oder mit Hilfe der Hochdurchsatz-Sequenzierung auch neue Mutationen im Therapieverlauf entdecken. Auch hier setzen die Biotech-Firmen das ganze Spektrum der Möglichkeiten ein.

Obwohl es für den Einsatz der Flüssigbiopsie klare Indikationen gibt, etwa den Nachweis bestimmter Mutationen in Nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinomen als Basis für die Therapieentscheidung, gehören die Verfahren nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Bei der letzten Aktualisierung, die am 1. Juli dieses Jahres in Kraft trat, wurde die "In-vitro-Diagnostik tumorgenetischer Veränderungen zur Indikationsstellung einer pharmakologischen Therapie" in den Leistungskatalog aufgenommen, die Flüssigbiopsie jedoch ausgeschlossen. Sie gehört damit nicht zur Regelversorgung. Dabei ist eine Gewebeentnahme stets ein operativer Eingriff, der nicht nur belastender ist für Patientinnen und Patienten, sondern auch teurer als eine Blutentnahme.

Erkrankte, die einen solchen Test benötigen, müssen die Kostenerstattung bei ihrer Krankenkasse beantragen. Dies will der Bundesverband Deutscher Pathologen den Betroffenen abnehmen - und verfügt diesbezüglich bereits über Erfahrungen. In einem ähnlich gelagerten Fall konnten Patientinnen mit fortgeschrittenem Eierstockkrebs per Musteranschreiben ihren Rechtsanspruch auf die Kostenerstattung eines Mutationstests im Tumorgewebe gegenüber der Krankenkasse geltend machen und die Forderung an das untersuchende pathologische Labor abtreten. Der Verband überlegt, dieses Konzept erneut einzusetzen, wenn eine Flüssigbiopsie für die Therapieentscheidung unerlässlich ist.

"Wir sind überzeugt, dass auch in diesem Fall Patienten einen Rechtsanspruch auf diese Untersuchung haben", sagt Gisela Kempny, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Deutscher Pathologen. Sogenannte integrierte Versorgungsverträge, die der Verband mit Krankenkassen abschließen kann, könnten eine andere Lösung sein. Diesen Weg hat ein Zusammenschluss von pathologischen Laboratorien bereits beschritten. Wie das Netzwerk unlängst verkündete, habe es einen Vertrag mit der Barmer GEK abgeschlossen. Benötigt ein an Lungenkrebs erkrankter Versicherter dieser Krankenkasse eine erneute Biopsie für eine molekulare Tumordiagnostik, übernimmt die Versicherung die Kosten für die Flüssigbiopsie.

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