Zellkulturen auf dem Prüfstand

Wie gut sind Zellkulturen, wenn man damit die von Chemikalien ausgehenden Gesundheitsrisiken überprüfen will?

07.09.2016 - Deutschland

Will die Industrie Pflanzenschutzmittel, Klebstoffe oder andere Chemikalien auf den Markt bringen, muss sie prüfen, ob die Substanzen die Gesundheit des Menschen gefährden können. Das wird seit den 1930er-Jahren gemacht, indem die einzelnen Stoffe an Tieren getestet werden. Diese Vorgehensweise ist nicht nur aus ethischen Gründen umstritten und kostet viel Zeit und Geld. Zum Teil ist die Übertragung von Tierversuchsergebnissen auf den menschlichen Organismus auch schwierig und nicht immer zuverlässig möglich.

Robert Emmerich

Die rote Farbe der Nierenzellkulturen stammt von der Nährlösung, die Zellen selbst wachsen am Boden des Gefäßes.

Die Zahl der Chemikalien, die auf eine Gesundheitsgefährdung zu testen sind, habe in den vergangenen Jahren stetig zugenommen, sagt Professorin Angela Mally vom Lehrstuhl für Toxikologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Gleichzeitig sei das Bewusstsein dafür gewachsen, dass eine umfassende toxikologische Prüfung aller Chemikalien weder ethisch vertretbar noch praktikabel ist, so Mally.

Ziel: Neues Testsystem für systemische Wirkungen

Für Giftwirkungen wie Verätzungen der Haut, Reizung der Augen oder einige andere örtlich begrenzte toxische Effekte wurden inzwischen tierversuchsfreie Alternativmethoden etabliert. Diese fehlen bislang allerdings, wenn es um die systemischen Wirkungen von Chemikalien oder Arzneistoffen geht – also um das, was ein Stoff bewirkt, wenn er in den Organismus aufgenommen wird und sich dort verteilt.

Solche systemischen toxischen Effekte können sich womöglich mit Hilfe von Zellkulturen vorhersagen lassen. Auf diesem Gebiet forscht Mally mit ihrem Doktoranden Sebastian Jarzina im Projekt Risk-IT. Sie konzentrieren sich dabei auf nierenschädigende Stoffe. Das hat seinen Grund: Gerade die Nieren werden sehr häufig von Chemikalien oder Arzneimitteln geschädigt.

Bekannte Nierengifte systematisch analysieren

„Als erstes tragen wir das verfügbare Wissen über verschiedene nierenschädigende Stoffe zusammen, deren Eigenschaften und Wirkungsweisen schon gut charakterisiert sind“, erklärt Mally. Welchen Weg nehmen die Stoffe im Körper, wie und in welchen Organen werden sie verstoffwechselt, an welchen Stellen greifen sie die Nierenzellen an? Systematisch werden dann die Wirkmechanismen identifiziert, die für eine Nierenschädigung relevant sind und die sich als Zielpunkte für Tests in Zellkulturen eignen.

Es folgt die Nagelprobe: Die nierentoxischen Stoffe werden zu Nierenzellkulturen gegeben, ihre Wirkungen werden mit verschiedensten Analysen erfasst und bewertet. Durch den Vergleich mit bisherigen toxikologischen Endpunkten wollen die Wissenschaftler schließlich herausfinden, ob sich mit den Zellkulturen ähnlich sichere toxikologische Bewertungen erzielen lassen wie mit herkömmlichen Testverfahren.

Zellkulturen können Tierversuche nicht ersetzen

„Das ist nur ein kleiner Puzzlestein zu den weltweiten Bemühungen um tierversuchsfreie Testverfahren, an dem wir hier arbeiten“, betont Mally. Für andere Organe wie Herz oder Leber müssten wieder eigene Tests entwickelt werden. Zudem könnten Tests an Zellkulturen immer nur Teil eines Prüfverfahrens sein, bei dem mehrere Teststufen hintereinander geschaltet sind. Sinnvoll eingesetzt tragen sie aber dazu bei, die Zahl der Tierversuche zu reduzieren – denn je nach dem Ergebnis der Tests an den Zellkulturen können weitere Prüfungen entfallen.

Es ist noch viel Arbeit zu leisten, bis das Wirklichkeit werden könnte. Wie sicher kann eine toxikologische Bewertung mit Zellkulturen überhaupt sein? Das sei erst einmal die zentrale Frage in diesem Projekt, so Mally, denn Zellkulturen hätten durchaus ihre Grenzen. So lassen sich mit ihnen zum Beispiel keine Langzeitwirkungen von Chemikalien oder Arzneimitteln erfassen. Denn in der Kultur bleiben die Zellen nur wenige Tage stabil, bevor es zu ersten Veränderungen kommt und sie aus wissenschaftlicher Sicht nicht mehr geeignet sind.

Fakten zum Forschungsprojekt

Das von Mally koordinierte Projekt Risk-IT läuft seit März 2016 und ist auf drei Jahre angelegt. Finanziell wird es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der niederländischen Forschungsförderorganisation ZonMw mit rund 750.000 Euro gefördert. Kooperationspartner der JMU sind die Universität Utrecht (Niederlande), die BASF SE (Abteilung „Experimentelle Toxikologie und Ökologie“) und das Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und angewandte Ökologie in Aachen. Die BASF steuert weitere Finanzmittel bei.

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