Chemischer Reaktion auf die Finger geschaut

Detaillierte Beobachtung chemischer Prozesse mit table-top-Laser und Spezialdetektor

23.11.2016 - Deutschland

Ein Forscherteam vom Helmholtz-Institut Jena und DESY hat den Weg geebnet, einen konventionellen Laser zur Beobachtung des Aufbrechens von chemischen Bindungen nutzbar zu machen. Für ihre Experimente kombinierten die Forscher hochperformante Lichterzeugungs- und Detektorkomponenten aus den beiden Helmholtz-Institutionen. Diese Anordnung bildet die Grundlage für Beobachtungen rasanter Prozesse mit einer Zeitauflösung von 30 milliardstel millionstel Sekunden (30 Femtosekunden). Der Aufbau ist zudem so kompakt und robust, dass es Prototyp für Messapparaturen sein kann, die auch an kleineren Institutionen und Universitäten aufgebaut und betrieben werden können.

Illustration: HIJ

Aus dem Licht eines Infrarotlasers wird durch Wechselwirkung mit einem Edelgas kurzwelliges XUV-Licht erzeugt.

Was passiert beim Lösen einer chemischen Bindung? Wie koppeln einzelne Atome zu einem Molekül aneinander und voneinander ab? Das Verständnis der Dynamik chemischer Prozessen wird oft als „Heiliger Gral“ der physikalischen Chemie bezeichnet; versteht man die Vorgänge, hat man die Grundlage dafür, solche Bindungen zu beeinflussen und vielleicht völlig neue Stoffe zu designen.

Zur präzisen Beobachtung solcher chemischen Prozesse braucht man Hochgeschwindigkeitskameras mit höchster Zeit- und Ortsauflösung wie den Röntgenlaser European XFEL, der gerade in der Metropolregion Hamburg gebaut wird und einzelne Moleküle und Atome sichtbar machen wird. Zur wissenschaftlichen Beobachtung des Brechens chemischer Bindungen kleiner Moleküle reicht aber auch ein Laser für kurzwelliges Ultraviolett-Licht aus, in Kombination mit einem für Synchrotron- und Röntgenlaserexperimente entwickelten Koinzidenz-Detektor.

In ihren Untersuchungen beschossen die Helmholtz-Wissenschaftler Iodmethan-Moleküle (CH3I), die aus einem Iodatom und einer Methylgruppe (CH3) bestehen, mit kurzen hochintensiven XUV-Pulsen. Durch das Licht wurde die Bindung zwischen Iod und Methylgruppe zerbrochen; die Fragmente der Moleküle wurden in einem Spektrometer aufgefangen und vermessen. Hieraus lassen sich die Umordung der Elektronen im angeregten Molekül und die folgenden induzierten chemischen Prozesse ableiten.  

Basis der Experimente war ein table-top-Lasersystem für Licht im sogenannten extremultravioletten Bereich (XUV). Der am Helmholtz-Institut Jena entwickelte Laser produziert sehr kurze und hochintensive XUV-Pulse, indem zunächst ein Infarot-Laserlichtpuls in einer Lichtleiterfaser stark verstärkt  wird und anschließend ungeradzahlige Vielfache der ursprünglichen Laserfrequenz erzeugt werden. Für diese Experimente wurde die Wellenlänge von etwa 18 Nanometern dieser sogenannten höheren harmonischen Frequenzen mittels spezieller Optiken ausgekoppelt und im Experiment genutzt.

„Das XUV-Lasersystem produziert Lichtblitze mit 1 Million Photonen, die nur 30 Femtosekunden lang sind, mit einer Pulsrate von bis zu 100 Kilohertz“, erklärt Prof. Jens Limpert. Dr. Jan Rothhardt, der den Laser mitentwickelt hat, sagt „Die Kombination aus hohem Photonenfluss und sehr hoher Wiederholrate bei sehr guter Stabilität qualifiziert das System im Prinzip, um Nutzerexperimente für chemische Dynamiken durchzuführen.“

Die Art der Puls-Erzeugung durch höhere Harmonische bietet einen quasi eingebauten Vorteil: Man kann mit einem Lichtblitz, der im Laser erzeugt wird, eine chemische Reaktion anstoßen, um sie nach fest einstellbarer Zeit mit einem im selben Laser erzeugten XUV-Blitz zu untersuchen. „Die Verzögerung des zweiten Blitzes ist mit hoher Präzision einstellbar“, so Rothhardt. In dieser ersten Serie von Experimenten wurde diese „pump & probe“-Technik noch nicht eingesetzt; sie wurde aber schon getestet und ist für Folgeexperimente eingeplant.

Zweite wichtige Komponente der Experimente war eine komplexe Proben- und Detektorkammer, die für den Einsatz an Freie-Elektronen-Lasern (FEL) entwickelt worden ist und bereits an DESYs Beschleunigern FLASH und PETRA III im Einsatz war. In dieser CAMP-Experimentierkammer, zu der Zeit von Daniel Rolles´ Arbeitsgruppe betrieben, wurde die Probe in einem dünnen Strahl mit Überschallgeschwindigkeit in den Lichtstrahl geschossen. In der Interaktion mit dem XUV-Licht wurden die Moleküle zerstört, und die Eigenschaften der davonfliegenden Fragmente in einem eingebauten Spektrometer mit hoher Präzision vermessen. Durch Koinzidenzmessungen konnten die aufgefangenen Bruchstücke ihrem Ursprungsmolekül zugeordnet werden, und aus der präzisen Charakterisierung der Bausteine der Verlauf des Bruchs der Bindung zeitaufgelöst entschlüsselt werden.

„Mit der Kombination der experimentellen und wissenschaftlichen Möglichkeiten aus Jena und Hamburg eröffnen wir neue Möglichkeiten in der Beobachtung chemischer Dynamiken“, sagt der Initiator der Experimente, DESY-Wissenschaftler Prof. Jochen Küpper, der auch dem Center for Free-Electron Laser Science und dem Hamburger Centre for Ultrafast Imaging der Universität Hamburg angehört. DESY-Forscher Tim Laarmann fährt fort „Im nächsten Schritt werden wir mit dem Aufbau Pump-Probe-Experimente durchführen. Im Prinzip sollten mit diesem Aufbau sogar noch wesentlich höhere Zeitauflösungen von unter einer Femtosekunde möglich sein und wir so schnellste Elektronenbewegungen in komplexen Molekülen sichtbar machen können.“

Originalveröffentlichung

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