Ultrakurzzeit-Lichtquelle im Laborformat

23.01.2017 - Schweiz

Erstmals haben Forschende der ETH Zürich und der Universität Genf mit einer Laborröntgenquelle nachweisen können, wie sich zwei hochfluorierte Moleküle in wenigen, ultrakurzen Billiardstel- oder Femtosekunden verändern.

ETH Zürich / Florian Meyer

Haben einen Weg gefunden, um ultraschnelle Prozesse im Labor zu untersuchen: die ETH-Forscher Yoann Pertot und Hans Jakob Wörner.

In der Natur ereignen sich manche Vorgänge so schnell, dass selbst ein Wimpernschlag (100 s) im Vergleich dazu sehr langsam ist. Viele grundlegende physikalische, chemische und biologische Reaktionen vollziehen sich im ultrakurzen Zeitbereich von wenigen Femtosekunden (10−15 s) oder gar Attosekunden (10−18 s). Elementarteilchen wie Elektronen oder Photonen beispielsweise bewegen sich in Molekülen innerhalb von bloss 100 Attosekunden (10−16 s).

Wenn Elektronen in einem Molekül von einem Atom zu einem anderen springen, können sich chemische Bindungen auflösen und neue entstehen. Das passiert in einem Bruchteil von Femtosekunden. Solche Prozesse in Echtzeit mit atomarer Auflösung zu verfolgen, ist ein wesentlicher Grund für die Entwicklung neuer Grossforschungsanlagen wie zum Beispiel des Freien-Elektronen-Lasers Swiss FEL. Forschende der ETH Zürich und der Universität Genf haben nun einen Weg gefunden, solche ultraschnellen Prozesse im Labor zu untersuchen: mit einer weichen Röntgenquelle.

Das Geheimnis ultrakurzer Reaktionen

Wie die Forschenden der Biophotonik-Gruppe von Jean-Pierre Wolf, Professor in Genf, und der Gruppe für ultraschnelle Spektroskopie von Hans Jakob Wörner, Professor in Zürich, in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins «Science» berichten, haben sie eine röntgenbasierte Messtechnologie, die sogenannte Röntgenabsorptionsspektroskopie, so weiterentwickelt, dass sie eine Zeitauflösung von 20 Femtosekunden (2x10-14 s) erreichten.

Damit beobachteten die Wissenschaftler, wie sich die Aufenthaltsräume der Elektronen - die sogenannten Molekülorbitale – von zwei hochfluorierten Verbindungen strukturell veränderten. Auch die Moleküle - Tetrafluorkohlenstoff (enthält vier Fluoratome) und Schwefelhexafluorid (enthält sechs Fluoratome) - selbst nahmen eine andere Form an, da die bestehenden chemischen Bindungen wegen der Elektronenbewegungen aufbrachen. Tetrafluorkohlenstoff beispielsweise verlor spontan ein Fluoratom und verwandelte sich von einem Tetraeder in ein dreieckig-ebenes Kohlenstoffmolekül mit drei Fluoratomen. Kohlenstoffhaltige Moleküle und ihre Reaktionen sind mit dieser Methode elementspezifisch zu vermessen und spielen beim Ozonabbau in der Atmosphäre ein Rolle.

Premiere im Labor

«Diese chemischen Reaktionen konnte man bisher nicht untersuchen», erklärt Wörner. «Das ist die erste zeitaufgelöste Messung im Femtosekundenbereich mit einer weichen Laborröntgenquelle.» Bisherige Versuche, ultraschnelle Röntgenquellen für die Anwendung in Labors zu entwickeln, beruhen auf harter, energiereicher Röntgenstrahlung und erreichen bestenfalls Picosekunden-Zeitauflösung (10-12 s). Die Zürcher und Genfer Forschenden hingegen kombinierten eine an der ETH entwickelte Lichtquelle für weiche, energiearme Röntgenstrahlung mit einem kompakten, hochintensiven Lasersystem im Genfer Labor. Mit weichen Röntgenstrahlen lassen sich präzise Strukturinformationen gewinnen, wie sich die Elektronen in den Molekülen verteilen und welche Abstände die Atomkerne haben.

Entscheidend zum technologischen Durchbruch beigetragen hat, dass die Forschenden die Röntgenstrahlung über die Erzeugung «hoher Harmonischer» entstehen liessen. Mit dieser Methode vervielfachten sie in einem Gas in einer Vakuumkammer die Frequenz des ursprünglichen Femtosekunden-Laserstrahls um einen Faktor von rund 500 und erzeugten so einen kohärenten Röntgenstrahl mit einem «weissen» Spektrum.

Attosekunden-Zeitauflösung als Ziel

Damit konnten sie auch das chemisch und biologisch interessante Energiespektrum zwischen 100 und 350 Elektronenvolt erschliessen. «Zeitlich hochaufgelöste Messungen waren in diesem Spektralbereich bisher im Labor nicht möglich», freut sich Wörner. Ein grosser Vorteil der neuen Quelle sei, dass mit ihr auch Röntgenexperimente mit einer Attosekunden-Zeitauflösung möglich werden. «Daran arbeiten wir jetzt in Zürich.» Die hochzeitauflösende Laborröntgenquelle ergänzt die Forschung an Synchrotron-Lichtquellen und an Freie-Elektronen-Lasern, ersetzt sie allerdings nicht. Sie ermöglicht zusätzliche Messungen und Experimente.

Ausserdem möchten die Forschenden in Zukunft auch Moleküle in einem dünnen, für Röntgenstrahlen durchlässigen Wasserstrahl vermessen, denn im aktuellen Experiment konzentrierten sie sich auf die Gasphase: In diesem Zustand lassen sich Moleküle besonders gut isolieren und unabhängig von allfälligen Wechselwirkungen mit ihrer Umgebung untersuchen. Die meisten chemischen Reaktionen und biologischen Prozesse spielen sich jedoch in der Flüssigphase ab.

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