Pharmacoscopy: Mikroskopie der nächsten Generation

Neue Möglichkeiten zur Entdeckung von Wirkstoffen

26.04.2017 - Österreich

Eine neue Mikroskopie-Methode ermöglicht bisher unerreichte Einblicke in die Interaktionen zwischen einzelnen Zellen des Immunsystems: Das „Pharmacoscopy“ getaufte und patentierte Verfahren, entwickelt von Wissenschaftlern am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, kann in hoher Auflösung und mit großem Durchsatz ganze Substanzbibliotheken auf ihren Effekt auf Immunzellen testen. Die in Nature Chemical Biology beschriebene Methode eröffnet damit neue Möglichkeiten zur Entdeckung von Wirkstoffen, insbesondere für die Krebsimmuntherapie, die personalisierte Immuntherapie sowie für die Erforschung der Signalwege des Immunsystems.

Gregory Vladimer/CeMM

Schematische Darstellung des Pharmacoscopy-Prinzips

Das Immunsystem besteht aus einer großen Vielfalt an Zelltypen mit unterschiedlichsten Aufgaben. Um die reibungslose Zusammenarbeit dieses hochkomplexen Systems zu gewährleisten, bedarf es einer fein abgestimmten Koordination: Immunzellen nutzen dafür eine breite Palette an biochemischen Signalwegen, die sie über spezielle lösliche Proteine oder direkte Zellkontakte aktivieren. Solche Signalwege sind auch das Ziel moderner Wirkstoffe, zum Beispiel in der Krebsimmuntherapie. Mit ihnen kann das Immunsystem gezielt gegen bestimmte Strukturen oder Zelltypen gerichtet werden.

Doch die Suche nach Medikamenten, die in der Lage sind, einen solchen Einfluss auf das Immunsystem zu nehmen, gestaltet sich oft als schwierig: Einerseits sind die Signale – ob nun über lösliche Proteine ausgesendet oder durch direkte Berührungen vermittelt – häufig sehr subtil und in ihrer Feinheit nur schwer zu erfassen. Andererseits mangelte es bisher an robusten Technologien, mit denen insbesondere die Veränderungen der Zellkontakte zwischen Immunzellen rasch und zuverlässig erkannt und verfolgt werden können.

Hier schafft die Pharmacoscopy Abhilfe: Die Interaktionen von Immunzellen aus dem Blut können mit der von Wissenschaftlern am CeMM unter der Leitung von Giulio Superti-Furga entwickelten und in Kollaboration mit der Medizinischen Universität Wien getesteten Methode präzise und zuverlässig vermessen werden. Das gelingt durch die Kombination eines hochmodernen, automatisierten Hochdurchsatz-Fluoreszenzmikroskops, eines hochauflösenden Bildanalyseverfahrens, das einzelne Zellen erfassen kann sowie eines speziell entwickelten analytischen Algorithmus.

Sowohl die Kommunikation über direkte Zellkontakte als auch über lösliche Botenstoffe, die sich in der Regel in einer Veränderung von Zellkontakten widerspiegelt, kann mit der Methode robust quantifiziert werden. Darüber hinaus besticht die Methode durch ihre Geschwindigkeit und Möglichkeit zur vollständigen Automatisierung. Somit ist es erstmals möglich, große Wirkstoffdatenbanken, wie sie etwa in Stefan Kubicek´s PLACEBO (Platform Austria for Chemical Biology) Laboratorium am CeMM existieren, mit Pharmacoscopy auf ihre immunverändernde Wirkung zu überprüfen. „Wir konnten mit der Methode bereits feststellen, das 10% aller zugelassenen Medikamente auf die ein oder andere Weise einen Einfluss auf das Immunsystem haben - bei vielen war das bisher völlig unbekannt“ so Gregory Vladimer, einer der beiden Erstautoren der Studie.

Aus den untersuchten Wirkstoffen wählten sie Crizotinib aus, ein zugelassenes Medikament zur Behandlung von Lungenkrebs, um die Methode eingehend zu testen. „Bei Crizotinib konnten wir mit Pharmacoscopy verfolgen, wie die Substanz den Krebs für zytotoxische T-Zellen verwundbar macht“, erklärt Berend Snijder, ebenfalls Erstautor der Studie. “Dabei wird MHC, ein für das Immunsystem wichtiger Proteinkomplex, von den Krebszellen produziert, was dazu führt, dass die T-Zellen sie erkennen und abtöten können“.

„Dies ist die weltweit erste Methode, mit der die Modulation des Immunsystems in solch hoher Auflösung und mit einem derartigen Durchsatz analysiert werden kann“ sagt Giulio Superti-Furga, Studienleiter und Wissenschaftlicher Direktor des CeMM. „Pharmacoscopy kann somit nicht nur für die Entdeckung neuer Wirkstoffe eingesetzt werden, die Methode ist auch in der Grundlagenforschung anwendbar um die Effekte von Signalstoffen auf das Immunsystem zu visualisieren. In Zukunft soll es mithilfe von Pharmacoscopy möglich sein, individuelle Patientenproben zu analysieren und die Wirkung verschiedener Medikamente zu testen – ein Meilenstein in der Entwicklung einer personalisierten Präzisionsmedizin“.

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