Neue Einblicke in die Materie

Hochdruckforschung in Kombination mit NMR-Spektroskopie

13.12.2017 - Deutschland

Forschern der Universität Bayreuth und des Karlsruher Institute of Technology (KIT) ist es erstmals gelungen, die magnetische Kernresonanzspektroskopie (NMR) in Experimenten anzuwenden, bei denen Materialproben unter sehr hohen Drücken – ähnlich denen im unteren Erdmantel – analysiert werden. Das in der Zeitschrift Science Advances vorgestellte Verfahren verspricht neue Erkenntnisse über Elementarteilchen, die sich unter hohen Drücken oft anders verhalten als unter Normalbedingungen. Es wird voraussichtlich technologische Innovationen fördern, aber auch neue Einblicke in das Erdinnere und die Erdgeschichte, insbesondere die Bedingungen für die Entstehung von Leben, ermöglichen.

Thomas Meier

Blick in die offene Hälfte einer Diamantstempelzelle. Darunter ist ein Trimmer-Kondensator (grün) befestigt.

Diamanten setzen Materie unter Hochdruck

Die geo- und materialwissenschaftliche Hochdruckforschung ist dafür bekannt, völlig unerwartete und faszinierende Phänomene zu entdecken: Unter extrem hohen Drücken verwandeln sich Materialien, die normalerweise keinen elektrischen Strom leiten, zu Supraleitern; scheinbar einfach aufgebaute Festkörper nehmen plötzliche hoch komplexe Kristallstrukturen an; kleinste Elementarteilchen wie Elektronen und Protonen zeigen unvorhersagbare Eigenschaften. Zu den weltweit führenden Zentren der Hochdruckforschung zählt das Bayerische Geoinstitut (BGI) der Universität Bayreuth. 2016 hat ein Forschungsteam des BGI bei materialwissenschaftlichen Experimenten erstmals einen Druck von mehr als einem Terapascal erzeugt – dreimal höher als der Druck, der im Zentrum der Erde herrscht. Diese hohen Drücke werden auf kleinstem Raum in Diamantstempelzellen erzeugt. Darin wird die Materialprobe zwischen den Köpfen zweier Diamanten platziert, die einander exakt gegenüber liegen und gemeinsam einen extrem hohen Druck auf das Material ausüben.

Röntgenkristallographische Verfahren haben auf diese Weise immer wieder zu überraschenden Erkenntnissen über Strukturen und Verhaltensweisen von Materie geführt. Allerdings konnte die NMR-Spektroskopie, die beispielsweise sehr erfolgreich zur Aufklärung der Strukturen und Interaktionen von Biomolekülen angewendet wird, in der Hochdruckforschung bisher nicht eingesetzt werden. Eine technische Hürde stand im Weg: Es war bisher kaum möglich, die für die NMR wichtigen Magnetfelder auf die winzigen Proben in der Diamantstempelzelle zu fokussieren und die dadurch erzeugten Signale zu messen.

Magnetische Linsen, kombiniert mit Diamanten

Im August 2017 aber veröffentlichten Wissenschaftler des Instituts für Mikrostrukturtechnik am KIT eine neue Methode, die es erlaubt, die NMR-Spektroskopie für hochpräzise Untersuchungen auf kleinstem Raum einzusetzen. Hierfür haben sie magnetische Linsen, die nach dem deutschen Physiker Emil Lenz (1804 - 1865) als Lenz-Linsen bezeichnet werden, entsprechend weiterentwickelt. „Diese Forschungsergebnisse aus Karlsruhe haben bei uns in Bayreuth sofort die Überlegung ausgelöst, ob sich Lenz-Linsen in den Diamantstempelzellen so installieren lassen, dass sie NMR-Experimente unter hohen Drücken ermöglichen“, berichtet der Bayreuther Hochdruckforscher Prof. Dr. Leonid Dubrovinsky. Gemeinsam mit Dr. Sylvain Petitgirard und Dr. Thomas Meier vom BGI hat er mit dem Karlsruher Forschungsteam um Prof. Dr. Jan Korvink Kontakt aufgenommen. In kurzer Zeit gelang es durch intensive Zusammenarbeit, die Diamanten in den Stempelzellen mit den neuen Lenz-Linsen so zu kombinieren, dass die in den Zellen eingeschlossenen Materialproben NMR-spektroskopisch untersucht werden können. In ersten Experimenten wurden die Proben Drücken von 72 Giga-Pascal (720.000 bar) ausgesetzt, wie sie im unteren Erdmantel herrschen.

Neue Perspektiven für Forschung und Innovationen

„Das Portfolio der röntgenkristallographischen Verfahren, die uns bisher für die geo- und materialwissenschaftliche Hochdruckforschung zur Verfügung standen, wird durch die NMR-Spektroskopie jetzt erheblich erweitert. Die möglichen Anwendungsfelder sind noch gar nicht absehbar. Wir können jetzt das Verhalten von Elektronen und Atomkernen in physikalisch und geologisch wichtigen Systemen mit einer viel höheren Präzision untersuchen als bisher“, erklärt Dubrovinsky. „Diese Erkenntnisse können innovative Entwicklungen, beispielsweise in der Energie- oder der Medizintechnik, voranbringen. Vielleicht werden sie uns eines Tages auch dabei helfen, das große Rätsel zu klären, wie das Leben auf der Erde entstanden ist“, meint der Bayreuther Wissenschaftler.

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