EU einigt sich auf neue Chemikalienpolitik

15.12.2005

(dpa) - Nach zwei Jahren Streit haben sich die EU-Staaten auf die künftige Chemikalienpolitik geeinigt. Das sagten Diplomaten beim EU-Wettbewerbsfähigkeitsrat in Brüssel. Das Gesetz mit dem Arbeitsnamen REACH sieht vor, ungefähr 30.000 Altchemikalien auf ihre Gefährlichkeit zu testen.

In der europäischen Chemiebranche stieß die Verordnung wegen Kosten in Milliardenhöhe auf Widerstand. Umweltschützer bemängeln hingegen, dass die Verordnung bei den Beratungen in Kommission, Parlament und Ministerrat weitgehend entschärft worden ist.

Das Europaparlament hatte am 17. November in erster Lesung den Vorschlag der EU-Kommission zu REACH zu Gunsten der Industrie verändert. Die Abgeordneten beschlossen, die Anforderungen an die Wirtschaft bei der Datenerhebung zu verringern. Damit soll vor allem die mittelständische Branche entlastet werden.

Auf die chemische Industrie kommen Kosten in Höhe von schätzungsweise mehr als acht Milliarden Euro zu. Nach abschließender Lesung im Europaparlament könnte die Regelung 2007 in Kraft treten. Die schwarz-rote Bundesregierung begrüßte den Kompromiss zur REACH-Verordnung. Umweltschützer warfen der EU Versagen vor.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) zeigte sich in Brüssel sehr zufrieden. «Ich glaube, dass das heute ein gutes, ein sehr gutes Ergebnis geworden ist», sagte er. Es gebe eine Balance zwischen Verbraucher- und Umweltschutz sowie den Interessen der chemischen Industrie, vor allem der kleinen und mittleren Betriebe. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) sagte in Berlin: «Ich begrüße, dass es gelungen ist, eine wirtschaftsfreundliche Lösung bei REACH durchzusetzen und damit die Attraktivität Deutschlands als Industriestandort zu sichern.»

Von der Regelung werden Chemikalien erfasst, die vor 1981 auf den Markt gekommen sind. Das sind ungefährt 100.000 Stoffe, von denen etwa ein Drittel nun überprüft werden. Seit 1981 müssen Chemikalien getestet werden. Etwa 4300 Produkte wurden seitdem geprüft.

Für Gabriel ist es entscheidend, dass die Beweislast in den Händen der Industrie liege. «Die Verantwortung für die Stoffprüfung und ein entsprechendes Risikomanagement sind grundsätzlich auf die Industrie verlagert», sagte er. Damit könne sich die in Helsinki noch zu gründende Agentur während der 11-jährigen Übergangsfrist auf die Zulassung besonders gefährlicher Stoffe konzentrieren. Zudem sei es gelungen, die Zahl der nötigen Tierversuche zu beschränken.

Die EU-Kommission nannte den Kompromiss vernünftig. «Diese Übereinkunft beendet eine lange Phase der Unsicherheit für die Industrie», sagte Industriekommissar Günter Verheugen. «Wir waren erfolgreich, REACH effektiver und besser anwendbar zu machen.» Umweltkommissar Stavros Dimas sagte: «Der Beschluss wird die durch Chemikalien verursachte Krankheiten verringern.» Glos und Gabriel hoben hervor, dass es gelungen sei, eine Befristung der Zulassung für Stoffe zu verhindern.

Die neue Gesetzgebung wird 40 bestehende Vorschriften ersetzen. Die Sammlung von Datensätzen wird Pflicht bei Stoffen, von denen mehr als eine Tonne im Jahr produziert wird. Die Vorschriften werden auch für importierte Stoffe gelten. Gabriel zeigte sich sicher, dass die Gesetzgebung mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO vereinbar sei und keine Diskriminierung darstelle.

Erleichterung bei der chemischen Industrie

Die chemische Industrie in Deutschland hat mit Erleichterung auf die Beschlüsse des EU-Ministerrates zum neuen Chemikalienrecht (REACH) reagiert. «Wir begrüßen es nachdrücklich, dass der Ministerrat die Vorgabe einer Zulassungsfrist von fünf Jahren, die Rechtssicherheit und Planbarkeit von Investitionen massiv in Frage stellen würden, entschärft hat», erklärte der Präsident des Branchenverbandes VCI, Werner Wenning. Positiv seien auch die weiter gefassten Erleichterungen für Stoffe, die in der Forschung und Entwicklung eingesetzt werden, um Innovationen zu erleichtern.

Nicht nachvollziehen kann der VCI aber, warum der Ministerrat das ausgewogene Registrierungspaket des Parlaments wieder aufschnüren will und damit das Registrierungsverfahren für Chemikalien vor allem für kleine und mittlere Unternehmen teurer und bürokratischer macht. Insgesamt liege aber nun mit den Beschlüssen des Europäischen Parlaments und den wichtigen Veränderungen durch den Ministerrat ein in den zentralen Elementen für die Chemie akzeptables Paket für das REACH-System vor, hieß es in einer Mitteilung.

Grüne kritisieren: zu wenig Schutz - aktuelle Stunde beantragt

Die Grünen-Bundestagsfraktion kritisierte die Einigung und beantragte für diesen Freitag eine aktuelle Stunde im Bundestag. Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck sagte in Berlin: «Die Bundesregierung hat darauf Einfluss genommen, dass gegenüber dem von der Kommission vorgelegten Verordnungsentwurf vor allem der Umwelt- und Gesundheitsschutz deutlich abgeschwächt wurde.»

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