Neu entdeckte Genmutation erklärt kognitive Defizite bei Autismus

31.08.2006

Autismus ist eine genetisch bedingte Störung der Gehirnentwicklung, an der mindestens drei, möglicherweise sogar bis zu hundert verschiedene Gene beteiligt sind. Wissenschaftler aus der Abteilung Molekulare Genomanalyse am Deutschen Krebsforschungszentrum unter der Leitung von Professor Annemarie Poustka identifizierten zusammen mit Kollegen aus den Universitäten Frankfurt und Salzburg Mutationen auf dem X-Chromosom. Dadurch können die kognitiven Defizite der Betroffenen besser erklärt werden.

Da Jungen viermal häufiger an Autismus erkranken als Mädchen, werden die genetischen Ursachen der Erkrankung unter anderem auf dem X-Chromosom vermutet. In der Vergangenheit wurden bereits mehrere Markergene für Autismus auf dem X-Chromoson identifiziert. Die Wissenschaftler nahmen nun weitere, bisher noch uncharakterisierte Regionen auf dem X-Chromosom ins Visier und unterzogen insgesamt 345 Autisten einem molekulargenetischen Screening. Bei zwei Brüderpaaren aus unterschiedlichen Familien fanden sie Mutationen in einer Region, die für die Herstellung von Ribosomen verantwortlich ist.

Die Mutationen waren bei den Brüderpaaren zwar nicht identisch, lagen jedoch räumlich sehr eng beieinander und waren bei gesunden Kontrollpersonen nicht nachweisbar. Sie betrafen eine Sequenz im Genom, die für das ribosomale Protein L10 (RPL10) kodiert. Dieses Protein gehört zu einer Familie von Ribosomenproteinen, die evolutionär hoch konserviert von den Bakterien bis zum Menschen vorkommt und unverzichtbar ist für die Translation, die Übersetzung der genetischen Information in Proteine.

RPL10 wird im Gehirn besonders stark in Bereichen wie dem Hippokampus exprimiert, wo Lernen, Gedächtnis, soziale und affektive Funktionen lokalisiert sind. "Ein funktionsgestörtes RPL10 könnte verantwortlich sein für die mangelhafte Differenzierung von Nervenzellen und unzureichende Ausbildung von Nervenzellverbindungen während der Gehirnentwicklung, die bei Autisten mit bildgebenden Verfahren nachzuweisen ist und als Grundlage der Erkrankung gilt", betont die Erstautorin Dr. Sabine Klauck. In der Vergangenheit wurden bei Autisten bereits mehrfach Mutationen in Genen nachgewiesen, die bei der synaptischen Verknüpfung im Hippokampus eine Rolle spielen. Die neuen Erkenntnisse stützen ein Erkrankungsmodell, bei dem der genetische Defekt über eine Störung der Translation zu einer unzureichenden Nervenzellentwicklung und -verschaltung in bestimmten Hirnregionen führt. Diese Störungen manifestieren sich dann in den typischen kognitiven Defiziten und Wahrnehmungsstörungen beim Autismus.

Originalveröffentlichung: S.M. Klauck, B. Felder, A Kolb-Kokocinski, C. Schuster, A. Chiocchetti, I. Schupp, R. Wellenreuther, G. Schmötzer, F. Poustka, L. Breitenbach-Koller, A. Poustka; "Mutations in the ribosomal protein gene RPL10 suggest a novel modulating disease mechanism for autism"; Molecular Psychiatry 2006.

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