Molekülbremse eröffnet neue Einblicke in die Quantenwelt
Forscher des Berliner Fritz-Haber-Instituts decken bei Stoß-Experimenten mit gezielt abgebremsten Molekülen deren molekulare Quantenstruktur auf
Lässt man Teilchen unter kontrollierten Bedingungen zusammenstoßen und misst danach ihre Eigenschaften, erhält man Informationen über ihre Struktur und ihre Wechselwirkungen. Die Geschwindigkeit, mit der die Teilchen aufeinandertreffen, ist hierbei ein entscheidender Parameter. In großen Teilchenbeschleunigern, wie beispielsweise am Europäischen Forschungszentrum CERN, läßt man geladene Teilchen mit sehr hohen Geschwindigkeiten aufeinander prallen und kann diese dadurch in ihre kleinsten Bausteine zerlegen.
Wissenschaftler des Fritz-Haber-Instituts in Berlin haben nun unter Leitung von Prof. Gerard Meijer neue Experimente durchgeführt, bei denen neutrale Moleküle mit sehr niedriger Geschwindigkeit gegen Atome stoßen. Ihre Geschwindigkeit ist so gering, dass die Moleküle weder zerstört werden noch in kleinere Teilchen zerfallen. Solche Stöße machen vielmehr Details der molekularen Quantenstruktur sichtbar, wenn man die Entstehung langlebiger Molekülkomplexe verstehen will.
Denn normalerweise haben neutrale Moleküle hohe Geschwindigkeiten, die sich relativ breit um einen Mittelwert von rund fünfhundert Meter pro Sekunde verteilen. Das ist zu schnell, um bei einem Stoß ihre molekulare Detailstruktur beobachten zu können. Bis vor kurzem war es allerdings auch schwierig, Moleküle entsprechend abbremsen zu können. Das gelang nun mit eine besonderen Molekülbremse, der in den vergangenen Jahren von der Forschungsgruppe "Kalte Moleküle" am FOM-Institut für Plasmaphysik "Rijnhuizen" in Nieuwegein, Niederlande, entwickelt worden war, die ihre Forschung seit Ende 2003 am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin fortsetzt.
Der Abbremser funktioniert genau gegenteilig zu einem Teilchenbeschleuniger und ermöglicht den Forschern, die Molekülgeschwindigkeiten auf einer Skala zwischen 33 und 700 Meter pro Sekunde genau einzustellen. Zudem haben dann alle Moleküle, die den Abbremser verlassen, in etwa die gleiche Geschwindigkeit bezogen auf den eingestellten Mittelwert.
Um die Wirksamkeit dieser Methode zu demonstrieren, liessen die Forscher OH-Radikale auf Xenon-Atome stoßen. In Abhängigkeit von der Stoßenergie können die OH-Moleküle durch den Stoßprozess in Rotation versetzt werden. Die Gesetze der Quantenmechanik schreiben nun vor, dass sich die Drehgeschwindigkeit von Molekülen nur stufenweise erhöhen läßt. Genau dies wurde nun bei den Berliner Experimenten sichtbar. Danach verglichen die Forscher ihre Ergebnisse mit Berechnungen des theoretischen Chemikers Gerrit Groenenboom aus Nijmegen, Niederlande, die . auf Basis der bis dato präzisesten Theorie durchgeführt wurden. Die experimentellen und die rechnerischen Werte zeigten eine hohe Übereinstimmung.
Die neue Technik ermöglicht eine Vielzahl interessanter Versuche. So wollen die Forscher in Zukunft nicht nur Atome und Moleküle, sondern auch Molekül auf Molekül treffen lassen und dabei die Geschwindigkeit beider Stoßpartner präzise variieren. Hierfür sind dann zwei Molekülabbremser erforderlich. Damit kann man die Genauigkeit der Stoßenergie um das Zehnfache erhöhen. Auf diese Weise sollten weitere Details der molekularen Quantenstruktur sichtbar werden.
Doch der Molekülabbremser ermöglicht auch neuartige Experimente auf dem Gebiet der Physikalischen Chemie. Denn steht gerade genug Energie für eine chemische Reaktion zur Verfügung, so dominieren Quanteneffekte das Verhalten der Reaktionspartner. Doch was unter solchen Bedingungen genau passiert, ist noch größtenteils unbekannt. Der Molekülabbremser ist daher ein ideales Instument, um solche Prozesse genauestens zu studieren.
Originalveröffentlichung: J. Gilijamse, S. Hoekstra, S. van de Meerakker, G. Groenenboom, G. Meijer; "Near-threshold inelastic collisions using molecular beams with a tunable velocity"; Science 2006.
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