Wissenschaftler des Berliner Instituts für Kristallzüchtung haben den entscheidenden Siliziumkristall erzeugt, der zu einer Neudefinition der Einheit Kilogramm führen könnte. Die Perfektion der Struktur und die hohe chemische und Isotopen- Reinheit des Kristalls sollen es ermöglichen, die Anzahl von Atomen in einem Kilogramm Silizium exakt zu bestimmen. Aus dem in Adlershof gezüchteten Einkristall werden zwei Kugeln herauspräpariert, die je ein Kilo wiegen. Experten der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig wollen dann die Atome in den Kugeln "zählen" und so zu einer exakten Definition des Kilogramms kommen. Bislang bestimmt sich das Kilogramm immer noch aus dem Vergleich mit dem Ur-Kilo in Paris, einem 39 Milimeter hohen und ebenso dicken Platin-Iridium-Zylinder. Nur: Jedes Handhaben des Zylinders, vor allem seine Reinigung, führt dazu, dass er zigtausende Atome verliert. Das gilt auch für die Kopien, die es in vielen Staaten der Erde gibt. Experten gehen davon aus, dass mittlerweile Abweichungen von 70 Mikrogramm auftreten (0,000 000 07 kg). Da in der heutigen Chemie und Physik jedoch längst mit weit geringeren Massen experimentiert und gerechnet wird, ist eine genaue und international einheitliche Bestimmung von großer Bedeutung. Wichtig ist die Definition auch für Experimente zur Prüfung von Naturkonstanten. Bis jedoch das Kilogramm neu definiert werden kann, sind weitere wichtige Messungen nötig. Zunächst müssen die Kugeln mit dem Standard-Kilogramm in Braunschweig verglichen werden, um festzustellen, wie genau ihre tatsächliche Masse mit der der deutschen Kopie des Ur-Kilos übereinstimmt. Dann geht es darum, die Kugelgestalt exakt zu vermessen. Und schließlich werden die Mitarbeiter des internationalen Avogadro-Projekts die Atomabstände ermitteln. All diese Messungen müssen zusammengenommen bis auf ein Hundertmillionstel genau sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann man die Zahl der Silizium-Atome in der Kugel berechnen und so eine für alle Zeiten gültige Einheit festlegen. Das Institut für Kristallzüchtung spielt dabei eine zentrale Rolle, weil es den Kristall für die Kugeln in der nötigen Perfektion produzieren kann. Schon das Ausgangsmaterial ist sehr kostbar: Aus Russland wurden vor einigen Wochen 6 Kilogramm hochreines Silizium 28 (28Si) nach Berlin geliefert, Warenwert: 1,2 Millionen Euro. Das Silizium 28 wurde in einem speziellen Verfahren angereichert mit Zentrifugen, die früher das russische Militär nutzte. Ziel war es, eine einmalig hohe Isotopenreinheit zu erreichen. Die Anreicherung wurde mit Massenspektrometern unabhängig in Russland und am Institut für Referenzmaterialien und Messungen der Europäischen Union in Geel bestimmt, die Konzentrationen anderer Elemente wurden mittels Infrarot-Spektrometrie an der PTB ermittelt. Aus diesem Ausgangsmaterial züchteten die Experten des IKZ unter der Leitung von Dr. Helge Riemann einen Einkristall, dessen Atome in einem praktisch perfekten Gitter geordnet sind. Dank des Floating-Zone-Verfahrens kam das Silizium dabei auch mit keinem Schmelztiegel in Berührung, so dass die wichtigste Verunreinigungsquelle ausgeschlossen war. Am Ende entstand ein Kristallrohling, dessen Form entfernt an eine Sanduhr erinnert. Jetzt sollen daraus Kugeln gefertigt werden - sie werden zu den kostbarsten Kristallkugeln der Welt zählen.