Forschen an der Grenze

19.06.2007

Noch sind Oberflächen dumm, doch das soll sich ändern: Wissenschaftler der Fraunhofer-Gesellschaft und der Max-Planck-Gesellschaft entwickeln gemeinsam bioaktive Oberflächen. Sie sollen in der Medizintechnik neue Märkte eröffnen.

Wie macht man Oberflächen intelligent? Wie sagt man einem Analyseröhrchen, dass es bestimmte Zellen, Bakterien oder Viren aus einer Probe herausfischen und auf Knopfdruck wieder abgeben soll? Wie bekommt man ein Implantat dazu, sich schnell und dauerhaft mit Knochen, Haut oder Muskelgewebe zu verbinden? "Entscheidend für die Interaktion ist eine hauchdünne Materialschicht, die Grenzfläche. Von ihr hängt ab, ob bestimmte chemische Verbindungen oder biologische Substanzen abgestoßen oder angezogen werden", erläutert Jean-Francois Lutz. Zusammen mit seinem Team am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP entwickelt er bioaktive Oberflächen für die Analytik und Medizintechnik der Zukunft.

Dies ist eine schwierige Aufgabe, denn hier ist Know-how aus unterschiedlichen Bereichen der Wissenschaft gefragt - aus Nanotechnologie, Physik, Chemie, Biochemie und Molekularbiologie. Um dieses breite Spektrum abdecken zu können, arbeitet Lutz' Gruppe eng mit Grundlagenforschern am benachbarten Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung sowie der ebenfalls nur wenige Gehminuten entfernten Universität Potsdam zusammen.

Die Forscherteams kooperieren schon seit Jahren. Unlängst haben die Max-Planck-Gesellschaft und die Fraunhofer-Gesellschaft 3,5 Millionen Euro für das interdisziplinäre Exzellenznetzwerk "Synthetische bioaktive Oberflächen" bewilligt. Zu dem neuen Netzwerk gehört auch das Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT in Sankt Ingbert - dort ist man spezialisiert auf zelluläre Biotechnologie und Biochips. "Die Interdisziplinarität ist entscheidend, denn bioaktive Oberflächen kann man nur entwickeln, wenn man über den eigenen Tellerrand schaut", sagt Lutz. "Wir bei Fraunhofer wissen beispielsweise zu wenig über die Grundlagen. Die sind aber wichtig, denn erst wenn wir die Grundprinzipien wie Molekülerkennung, Protein-Adsorption oder Rezeptor-Adhäsion verstanden haben, können wir gezielt Anwendungen entwickeln." Im Max-Planck-Institut gibt es genau hierfür Fachleute: Physiker und Chemiker, die die komplexen Interaktionen an den Grenzflächen simulieren und sichtbar machen. "In dem Projekt, das wir gemeinsam mit Fraunhofer durchführen, können wir unser Wissen vertiefen, gleichzeitig aber auch Anwendungen entwickeln. So ist die Steuerung und Bindung oder das Wachstum von Zellen an Oberflächen beispielsweise für die Stammzellenforschung äußerst interessant", erklärt Prof. Helmuth Möhwald, Direktor der Abteilung Grenzflächen am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung.

Die ersten Anwendungen sind bereits geplant: Mit Nanomaterialien beschichtete Oberflächen sollen in der biomedizinischen Analytik helfen, bestimmte Genstücke oder Proteine aus Proben zu extrahieren und zu fixieren. Am Ende soll das Probenmaterial durch Knopfdruck wieder entfernt werden. "Den Herstellern von medizinischen Geräten und Laborausrüstung eröffnet diese 'smarte Bioseparation' völlig neue Möglichkeiten", so Lutz. Zahlreiche Industriekunden hätten bereits Interesse angemeldet. Gemeinsam mit den Kollegen bei Fraunhofer, Max-Planck und der Universität Potsdam will er jetzt die neue, schaltbare Polymergeneration patentieren. Die Rechte an diesen Erfindungen werden sich die Einrichtungen teilen - auch hier wollen sie als Partner agieren und nicht als Konkurrenten.

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