Profiling eines warmblütigen Killers

Neue Technologie zum Profiling der einzigartigen genetischen Zusammensetzung von Myelom-Tumorzellen

08.01.2019 - Israel

Krebs entsteht, wenn Zellen die Kontrolle verlieren. Die Entschlüsselung des „Bauplans“ von Krebszellen – die Aufklärung, wie Krebszellen bestimmte Wege zur unkontrollierten Proliferation beschreiten – wird zu effizienteren Methoden ihrer Bekämpfung führen. Gemeinsam ist es Wissenschaftlern des Weizmann Institute of Science und Ärzten bedeutender hämatoonkologischer Abteilungen in Israel gelungen, detaillierte Profile von Myelomkrebs in beiden Krebsvorstufen zu erstellen, bei frisch diagnostizierten Patienten mit Multiplem Myelom ebenso wie nach der Behandlung und nach einem Rückfall. Diese detailreichen Pläne werden in Zukunft bei der präzisen Diagnose und Behandlung dieser Krankheit helfen.

Weizmann Institute of Science

Das Multiple Myelom ist die zweithäufigste Form des Blutkrebses. Das Multiple Myelom entsteht, wenn sich Plasmazellen im Knochenmark – die Zellen, die Antikörper produzieren – unkontrolliert vermehren und zu verschiedenen Formen des Organversagens und zum Tode führen. Trotz jahrelanger Forschung und einer signifikanten Verbesserung der Überlebensrate von Myelompatienten durch neue Immuntherapien leiden viele Patienten unter einem eingeschränkten Ansprechen und es kommt immer zu Rückfällen. Ein großes Hindernis bei der Diagnose von Myelom-Erkrankungen ist die Tatsache, dass jeder Patient einzigartig ist und die aktuellen Bluttests nicht in der Lage sind, den Beginn der Erkrankung in der Frühphase zu erkennen und zu klassifizieren, welcher Patient welche Behandlung erhalten sollte. So werden beispielsweise Patienten, deren routinemäßige Blutuntersuchungen einige Merkmale der Erkrankung in einem frühen und präkanzerösen Stadium offenbaren, mit einer „Strategie des Abwartens und Beobachtens“ eng begleitet, aber jedes Jahr verlieren 1 % von ihnen bei diesem „russischen Roulette“ und erkranken an der ausgeprägten Myelom-Erkrankung. Bis vor kurzem gab es keine Möglichkeit, zwischen denen zu unterscheiden, die erkranken werden und denen, die es nicht tun werden.

Dr. Guy Ledergor, MD/PhD und Dr. Assaf Weiner aus der Forschungsgruppe von Prof. Ido Amit von der Immunologieabteilung des Weizmann Institute of Science sowie Prof. Amos Tanay von den Abteilungen Biological Regulation und Computer Science and Applied Mathematics, vermuteten, dass eine von der Forschungsgruppe entwickelte hochempfindliche Methode, die als Einzell-RNA-Sequenzierung bekannt ist, einen neuen Ansatz zum Verständnis der Zusammensetzung des Multiplen Myeloms bieten und neue und effektivere Ansätze zur Diagnose und Behandlung dieser verheerenden Krankheit hervorbringen könnte. Mit dieser Vision vor Augen, ermöglichte das Bench to Bedside Program des Weizmann Institute of Science unter der Leitung von Prof. Gabi Barbash eine landesweite Initiative zur Gewinnung aller hämatoonkologischen Abteilungen in Israel für das Projekt.

Das neue Verfahren sequenziert die RNA in Tausenden von Einzelzellen aus dem Blut oder Knochenmark des Patienten und erlaubt es, das spezifische Genprogramm, das in jeder einzelnen Zelle aktiv ist, zu erfassen. Um den Bauplan für Myelomkrebs zu verstehen, generierten die Wissenschaftler zunächst ein hochauflösendes Modell normaler Plasmazellen, indem sie Zehntausende von Zellen von gesunden Personen sequenzierten, die sich einer Hüftoperation unterzogen und als Kontrollgruppe dienten. Die Plasmazellen der Kontrollpatienten waren innerhalb und zwischen den Individuen sehr ähnlich und zeigten im Wesentlichen eine einzige, gemeinsame „Blaupause“ normaler Plasmazellen. Beim Vergleich des normalen Bauplans mit den Bauplänen der Patienten zeigte sich, dass der Bauplan der Myelom-Krebszellen extrem heterogen ist, wobei jeder Patient seinen eigenen, einzigartigen Bauplan aufweist und einige Patienten mehrere Tumorklone zeigen, die mehr als einen einzigen Bauplan in einem Patienten aufweisen. 

Durch die gemeinsame Arbeit von Ärzten und Wissenschaftlern des Weizmann Institute of Science konnte nachgewiesen werden, dass es möglich ist, selbst eine sehr kleine Anzahl von bösartigen Zellen im Blut im Frühstadium (Präkanzerose) zu identifizieren und eine viel genauere Diagnose und fundierte Entscheidungen über die Behandlung jedes Patienten aufgrund seiner „persönlichen“ Erkrankung zu treffen. Dadurch wird es auch möglich sein, diese Patienten mit deutlich weniger schmerzhaften Bluttests zu begleiten und zu überwachen und so die heute üblichen schmerzhaften Knochenmarkbiopsien zu ersetzen. Schließlich könnte die Methode dazu beitragen, dass Patienten mit Multiplem Myelom früher und präziser behandelt werden, und möglicherweise den Rückfall verhindern, der oft auf eine Chemotherapie folgt.

Diese Studie und die hochsensible Methode, die weltweit zum ersten Mal angewendet wird und in Nature Medicine veröffentlicht wurde, können dazu beitragen, Israel an die Spitze der Diagnose und Behandlung von Myelompatienten zu bringen.

Prof. Barbash weist darauf hin, dass diese Ergebnisse erst der Anfang für die Anwendung einzelzelliger RNA-Seq-Technologien in der klinisch-genomischen Forschung sind. „Wir entwickeln jetzt ähnliche Partnerschaften zwischen Klinikforschern und Grundlagenforschern, um die Diagnose und Behandlung anderer Krankheiten zu verbessern.“

 „Die genomische Einzelzellanalyse, die sich bisher auf eine kleine Anzahl von Forschungslabors beschränkte, erweitert die Grenzen der Technologie stetig, so dass sie zu einem wichtigen Werkzeug für die klinische Entdeckung und Diagnose wird“, sagt Prof. Amit. Diese Methode kann nützlich sein, um frühe Anzeichen vieler bösartiger Erkrankungen im präkanzerösen Stadium oder nach einem Rückfall nach der Chemotherapie zu diagnostizieren und so Teil eines personalisierten Vorgehens werden. Damit können Entscheidungen auf der Grundlage der individuellen Profile der Zellen jedes Patienten in jedem Krankheitsstadium getroffen werden. Mit diesen Profilen werden bereits heute gezielte Therapien gegen die Krebszellen entwickelt.

Mit Hilfe eines Machine-Learning-Ansatzes identifizierten die Forscher automatisch bösartige Zellen aus Zehntausenden von Zellen. „Wir treten in eine Ära ein, in der die Messung von „Big Data“ und der Einsatz von maschinellem Lernen den Medizinern neue Erkenntnisse und ein besseres Verständnis über verheerende Krankheiten wie das Multiple Myelom liefern werden.“ so Dr. Weiner.  „In Zukunft werden Ärzte hoffentlich in der Lage sein, die Krankheit in Echtzeit zu verfolgen und jeden Patienten nach seinem persönlichen Krankheitsbild zu behandeln, möglicherweise noch bevor Symptome auftreten.“ so Ledergor.

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